Wozu wählen gehen?

Seit mehr als 20 Jahren bin ich überzeugter Nichtwähler. Zerreiße die Postkarte mit der Wahlbenachrichtigung wütend, sobald ich sie aus dem Briefkasten gefischt habe. Mein Argument lautet, dass ich mit meiner Stimme nichts bewirken kann. Ob Euro-Rettungsschirm oder Wiedervereinigung, Libyen oder Rechtschreibreform, Atomausstieg oder Agarsubventionen: Ich kann mich an keine einzige wichtige Sachfrage erinnern, zu der das deutsche Volk nach seiner Meinung gefragt wurde. Und in den allermeisten Fällen zeigen die Umfragen, dass die überwiegende Mehrheit genau das Gegenteil von dem wollte, was unsere Staatslenker tun. Etwas schriller formuliert lautet daher mein Credo: wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten.

Das Argument, dass wer nicht wählen geht, seine Stimme verschenkt, will ich nicht gelten lassen. Im Gegenteil sorgt jeder Wähler dafür, dass alles so bleibt wie es ist. So argumentierte auch Gabor Steingart in seinem Buch Die Machtfrage: Ansichten eines Nichtwählers. Steingart geißelt die Art, wie politische Parteien sich unseren Staat unter den Nagel gerissen haben. Das Grundgesetz sagt zur Rolle der Parteien, sie sollten „an der politischen Willensbildung mitwirken“. Inzwischen braucht man einen Parteiausweis, wenn man bei ARD oder ZDF Karriere machen will. Eine Gesinnungsprüfung muss auch jeder absolvieren, der Chef der Müllabfuhr in einer mittelgroßen Stadt sein will. Selbst ehemals unabhängige wissenschaftliche Berater werden zunehmend durch Parteibonzen ersetzt.

Ich will aber keine Parteien wählen, sondern Menschen. Und ich will meine Stimme nicht abgeben, sondern mitreden. Auch nach der Wahl. Ich will eine direkte Demokratie, in der ich über Sachfragen abstimmen kann. Ich will mich wehren gegen die Verbonzung unseres Landes. Und so stehe ich erneut vor dem Dilemma. Heute sind nämlich Landtagswahlen in Baden-Württemberg, und während ich diese Zeilen schreibe bleiben mir noch eine Stunde und 22 Minuten, mich zu entscheiden. Total verweigern oder das kleinere Übel wählen. Wieder einmal hatte ich die Diskussionen im Freundeskreis. Wieder einmal habe ich festgestellt, dass es keine Partei gibt, die meine Interessen vertritt. Nicht einmal zu 50 Prozent.

Und dann habe ich mir noch einmal die Kandidaten angesehen. Deren Profile verglichen und mich gefragt, wofür die einzelnen Kandidaten denn stehen. Welche Entscheidungen sie in der Vergangenheit gefällt haben, wie glaubwürdig sie sind usw. Dann die Entscheidung. Ich werde über meinen Schatten springen und denjenigen Kandidaten unterstützen, den ich für den glaubhaftesten halte. Denjenigen, der von seiner Partei am wenigsten abhängig zu sein scheint. Meine Wahl ist Winfried Kretschmann. Wunder erwarte ich von ihm keine, ein wenig mehr Ehrlichkeit in der Politik schon. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Noch 45 Minuten. Ich geh´ jetzt wählen…

dumm, beratungsresistent, undemokratisch, asozial

Vornehm ausgedrückt haben sich die wissenschaftlichen Berater des Finanzministers Schäuble. Laut einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) sprechen sie in einem Brief an ihren Arbeitgeber von einer „Fehlsteuerung in der Finanzpolitik“ angesichts des neuen Rettungspaketes für den Euro. Das Abkommen mit Bürgschaften von insgesamt 700 Milliarden Euro könnte die Entwicklung des Euro-Raumes beeinträchtigen und Deutschland überfordern – sagen die Leute die es wissen müssen.

„Schäubles Beirat kritisiert das Euro-Rettungspaket“ heißt der überaus lesenswerte Beitrag, vermutlich wird morgen auch im Spiegel darüber zu lesen sein.

Für mich war der Brief der Top-Ökonomen und Schäubles unverschämte Antwort mal wieder Anlass für einen Kommentar, den ich auf den Seiten der FAZ hinterlassen habe:

  • Deutschlands führende Ökonomen widersprechen öffentlich dem Finanzminister.
  • Deutschlands führende Banker verweigern die Mitwirkung am Euro-Rettungsschirm.
  • Deutschlands letzter Präsident trat zurück, vermutlich aus dem gleichen Grund.
  • Das deutsche Volk hat den Euro nie gewollt, wurde nie dazu befragt und muss trotzdem seit zehn Jahren dessen Lasten tragen.
  • Schlussfolgerung: Unsere Regierung ist dumm, beratungsresistent, undemokratisch und asozial.

Innerhalb einer halben Stunde habe ich dazu von 50 Lesern 100 Prozent Zustimmung bekommen. Da ist einerseits tröstlich, denn es signalisiert mir, dass die Deutschen das Denken nicht verlernt haben. Andererseits ist es um so empörender festzustellen, mit welcher Arroganz Schäuble die Analyse seines Beirats zur Seite wischt. Was kommt als nächstes? Die Entlassung des Beirates? Oder wird man einfach weiterwurschteln wie bisher und damit noch mehr Steuergelder verplempern für eine hochkarätige wissenschaftliche Beratung, die ungehört verhallt?

Und wer jetzt immer noch glaubt, der ganze Streit um den Euro ginge ihn nichts an, dem möchte ich ganz dringend folgendes Buch ans Herz legen: Schulden ohne Sühne: Warum der Absturz der Staatsfinanzen uns alle trifft. Geschrieben hat es der derzeitige Vorsitzende von Schäubles wissenschaftlichem Beirat, Kai Konrad (zusammen mit Holger Zschäpitz, dem leitenden Wirtschafts- und Finanzredakteur der Welt am Sonntag). Dort kann jeder nachlesen, warum die Billionenfalle, in die Kohl, Merkel & Co. uns manövriert haben, uns alle bedroht. Wie weitsichtig das Buch ist, zeigt sich unter anderem daran, dass es bereits vor der Griechenland-Krise geschrieben wurde, und dass die Ereignisse seitdem ziemlich genau so verlaufen sind, wie die schlimmsten Befürchtungen der Autoren. Hier kann sich jeder schlau machen, der bislang nicht so richtig verstanden hat, welche Rolle beispielsweise die Zinsen auf Staatsanleihen spielen, was Credit Default Swaps eigentlich sind und was die No Bail Out-Klausel besagte, oder wie oft ganze Staaten sich schon per Währungsreform ihrer Schulden entledigt haben und wie durch mangelnde Ausgabendisziplin die Chancen und der Wohlstand der nächsten Generationen aufs Spiel gesetzt werden.

Dann braucht es eigentlich nur eine Alternative bei der nächsten Wahl. Denn jenen 621 so genannten Volksvertretern, die bislang dem unseligen Treiben tatenlos zugeschaut haben, sollten wir unsere Stimme beim nächsten Mal ohne Ausnahme verweigern.

Betreff: Tunesien, Ägypten & Co.

Frage: Welcher unserer Politiker hätte wohl den Mut, sein Leben aufs Spiel zu setzen, um für Demokratie und Menschenrechte zu kämpfen? Können Sie sich unseren Außenminister Guido Westerwelle oder unseren Bundespräsidenten Christian Wulff vorstellen, wie die beiden mit handgemalten Plakaten in Peking auf dem Platz des Himmlischen Friedens stehen, um sich den Panzern der Obrigkeit in den Weg zu stellen? Wie sie umgeben von den Schlägertrupps eines brutalen und korrupten Regimes die Nacht auf dem Tahrir-Platz in Kairo verbringen, bewaffnet lediglich mit einem Handy, von dem aus sie unerschrocken den Fernsehsendern in aller Welt berichten?

Oder unsere Kanzlerin: Die war, vermeldet lapidar die Wikipedia, vor der Wende weder in der zivilen noch in der kirchlichen Opposition aktiv. Am Tag als die Mauer fiel, hat Angela Merkel nicht einmal die Nachrichten verfolgt. Statt dessen saß sie mit einer Freundin in der Sauna, berichtet der Politjournalist Gabor Steingart in „Die Machtfrage„.

Nun könnte man ja argumentieren, dass dies vielleicht sogar ganz gut ist, denn um einen Staat zu lenken braucht es einen kühlen Kopf und eine gehörige Portion Sachverstand. Und dass diejenigen, die nach Jahrzehnten der Unterdrückung im Laufe einer Revolution an die Macht kommen, auch nicht die idealen Staatslenker wären. Womöglich würden sie erst einmal alte Rechnungen begleichen wollen. Ein paar Köpfe rollen lassen. Oder sich zumindest jene Schätze unter den Nagel reißen, die das alte Regime nicht rechtzeitig außer Landes gebracht hat. Das wollen wir dann auch wieder nicht.

Mäßigung ist also angebracht angesichts der Revolutionen in Tunesien und Ägypten, argumentierte Freund G. bei unserer gestrigen Stammtischrunde. Und außerdem seien die meisten dort sowieso nicht reif genug für die Demokratie. Nicht einmal bei uns. „Und am Ende wählen sie dann die Muslimbrüderschaft und dann haben wir den Scheiß.“

Um meine rhetorische Eingangsfrage zu beantworten: Niemand kann sich unsere höchsten Repräsentanten als Freiheitskämpfer vorstellen. Aber ein paar deutliche Worte an Herrn Mubarak – ist das zu viel verlangt? Warum schweigt die EU? Warum gibt es keine Unterstützung für die Vorkämpfer der Demokratie in Tunesien und Ägypten, in Jordanien, Jemen und Algerien? Was tun Merkel, Obama & Co eigentlich, um den Menschenrechten in diesen Ländern zum Durchbruch zu verhelfen? Und was haben unsere Staatsoberhäupter, die Chefs der ach so freien westlichen Welt denn dafür in den vergangenen Jahrzehnten getan?

Those who deny freedom to others deserve it not for themselves.

Das ist eines meiner Lieblingszitate. Es stammt von Abraham Lincoln, dem 16. Präsidenten der USA. Über seine Motive mag man streiten, aber erst hat er die geteilte Nation vereinigt und dann die Sklaverei abgeschafft. Das macht ihn nicht nur sympathisch, sondern auch glaubwürdig. Ich wünschte mir, die USA, die EU und auch unsere politische Kaste würde sich an Lincolns Weisheit erinnern. Ich wünschte mir, unsere Repräsentanten würden endlich damit aufhören, Diktatoren in aller Welt in den Hintern zu kriechen. Und ich schäme mich für mein Land, solange auch bei uns Wirtschaftsinteressen immer wieder über Menschenrechte gestellt werden.

Dass viele Jugendliche im arabischen Raum uns für Heuchler halten, die westliche Lebensweise verachten und ihr Heil im radikalen Islam suchen hat vielleicht auch damit zu tun, wie unserer „Realpolitiker“ deren Unterdrücker seit Jahrzehnten hofieren – mit Staatsempfängen und Gipfeltreffen, durch Waffenlieferungen und Wirtschaftsabkommen, vor allem aber durch konsequentes Wegschauen angesichts Unterdrückung und Korruption, Willkür und Folter.

Jetzt gibt es eine historische Chance, es besser zu machen. Statt mit Armeen westliche Verhältnisse erzwingen zu wollen, wie in Afghanistan und im Irak, könnte man es zur Abwechslung ´mal mit friedlichen Mitteln versuchen. Wie wär´s zum Beispiel mit ein paar Milliarden Euro Starthilfe für junge Demokratien? Gekoppelt natürlich an die Bedingung freier Wahlen unter neutraler Beobachtung. Ich wette, dafür gäbe es mehr Verständnis als für den Euro-Rettungsschirm. Statt Waffenlieferungen könnte man den Austausch von Schülern und Studenten fördern. Die Märkte öffnen für Agarprodukte, statt mit EU-Subventionen die Ungleichheiten zu zementieren…

Das waren nur so ein paar Gedanken. Bisschen ´rumgesponnen. Bin halt ein Dummerle und verstehe nicht, warum die Unterstützung von Diktatoren alternativlos ist.

Denkzettel für Frau Merkel

So so, der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hält uns also für arrogant und glaubt, dass Frau Merkel sich nicht länger zieren sollte in unser aller Namen eine Bürgschaft in unbegrenzter Höhe auszustellen für Leute, die ich nicht einmal kenne. „Ich kann Deutschland und Frankreich nur warnen vor einem Machtanspruch, der eine gewisse Überheblichkeit und Arroganz ausdrückt, die das europäische Grundprinzip der Solidarität missachten“ hat er gesagt.

Dann war da noch diese kleine Notiz in der Tageszeitung, dass die Regierung ja eigentlich ganz gerne 30 Millionen extra bereits stellen wollte, damit Hebammen „Problemfamilien“ künftig etwas häufiger betreuen können, dass aber leider Gottes dafür wohl kein Geld mehr übrig ist. UND DA WÄRE MIR FAST DER KRAGEN GEPLATZT.

Ich glaube zwar eher an den Weihnachtsmann als daran, dass „unsere“ Politiker sich dafür interessieren, was das Volk will. Aber in meiner Wut habe ich dann doch noch diesen Hinweis auf der Webseite der Kanzlerin hinterlassen:

Sehr geehrte Frau Merkel,

Ihre Zugeständnisse gegenüber den sogenannten EU-Partnern in den vergangenen Monaten habe ich mit Entsetzen zur Kenntnis genommen. In meinem beträchtlichen Freundes- und Bekanntenkreis kenne ich niemanden, der bereit wäre, länger zu arbeiten, weniger zu verdienen, höhere Zinsen und mehr Steuern zu zahlen, damit ICH früher in Rente gehen, Urlaub machen oder mir ein Haus kaufen kann, ohne über ein entsprechendes Einkommen zu verfügen. Ihre Erklärungsversuche, warum dies auf EU-Ebene anders sein muss (Sachzwänge, Dominoeffekt, Solidarität, Friedensicherung usw.) überzeugen mich nicht im geringsten und es ist mir absolut schleierhaft, wie man beim Vergleich mit der wirtschaftlichen Entwicklung von Nicht-Euro-Ländern wie der Schweiz, Schweden, Norwegen und Dänemark diese Zwangseinheitswährung als Erfolgsgeschichte darstellen kann.

Nochmals zur Klarstellung: Ich will weder die Schulden noch den unverdienten Luxus anderer Länder mitfinanzieren müssen. Mein Vorrat an Solidarität ist längst aufgebracht und wenn Sie diese Politik fortsetzen, sehe ich nur einen Ausweg: Ich werde mich Hals über Kopf verschulden um nach Kräften gegen den moribunden Euro zu spekulieren. Geht die Rechnung auf, verabschiede ich mich mit meinen Profiten in die Schweiz. Falls nicht lasse ich mich davon überraschen, wer der sprichwörtliche letzte Depp sein wird, der die Rechnung bezahlt.

Nein, ich glaube nicht, dass Merkel meinen Brief lesen wird. Aber wenigstens bin ich aufgestanden und habe wieder einmal laut dagegen protestiert, wie diese Regierung unser Land an die Wand fährt.

Ceterum censeo: Der Euro muss weg!

Sieg für den Parteistaat, Niederlage für die Demokratie

Ja, auch ich will meinen Senf dazu geben zur gestrigen Wahl des Bundespräsidenten. Ich bin enttäuscht und wütend, dass wieder einmal die Abgeordneten des Bundestages und zusätzlich die anderen Mitglieder der Bundesversammlung sich einen Dreck darum geschert haben, was das Volk will. Die Bundesbürger nämlich hätten für Joachim Gauck gestimmt, wie zahlreichen Umfragen in den vergangenen Tagen und Wochen zu entnehmen war.

Auch wenn manch ein Kommentator das anders sehen mag wurde m.E. sehr wohl Druck auf die Repräsentanten ausgeübt und es wurde mit wenigen löblichen Ausnahmen strikt entlang der Parteilinien abgestimmt. Auch das ist das Gegenteil dessen, was das Volk will. So hatten sich zuletzt bei einer Umfrage der ARD 62 Prozent für die Direktwahl des obersten Repräsentanten der Republik ausgesprochen.

Leider kam wieder einmal alles anders, und das bisschen Kontrollfunktion, das dem Bundespräsidenten qua Verfassung zusteht, wird Christian Wulff wohl kaum ausnutzen wollen. Er wird sich daran erinnern, wer ihn in dieses Amt gehievt hat. Auch wenn man sich auf die Position zurückzieht, Wulff wäre ebenso „untadelig“ wie Gauck, ging es Angela Merkel doch einzig und alleine darum, jemanden zu installieren, der niemals auf die Idee käme, seine Unterschrift zu verweigern oder gar jenes Parteiensystem in Frage zu stellen, dem er seine Karriere inklusive der Position eines Ersatzkönigs verdankt.

Dass ein Sigmar Gabriel als Kanzler anders gehandelt hätte, bezweifle ich und das Verhalten der Linkspartei war einfach nur schamlos. Ehrlicher wäre es gewesen, den Bundespräsidenten gleich zum Grüßaugust herabzustufen, der direkt dem Kanzleramt unterstellt ist. Noch besser fände ich es, angesichts des Trauerspiels der vergangenen Wochen, das Amt des Bundespräsidenten ersatzlos zu streichen und dessen Etat von derzeit 27,63 Millionen Euro einzusparen. Die Bundesversammlung könnte man dann ebenfalls auflösen, ein Schaden wäre das nicht.

Und der Ex-Bundespräsident Horst Köhler? Wird der sich nun herablassen, dem Volk den wahren Grund für seinen Rücktritt zu verraten? Ach nein, soviel Offenheit dürfen wir wohl kaum erwarten von jemandem, der für seine Verdienste den Rest seines Lebens einen jährlichen „Ehrensold“ von runden 200000 Euro aus der Staatskasse erhält.

Lieber Finanzminister – jetzt reichts!

Kann ruhig jeder wissen, dass mir gerade der Kragen platzt wg. Griechenland. Dies habe ich gerade unserem Finanzminister gemailt:

Sehr geehrter Herr Dr. Schäuble,

Mit Wut und Enttäuschung nehme ich Ihre Entscheidung zur Kenntnis, Spekulanten, Abzocker und Betrüger mit Milliarden aus unseren Steuern zu subventionieren.

Kohls Versprechen, die neue Währung stabil zu halten ist offensichtlich ebenso wenig wert wie das Papier, auf dem der Vertrag von Maastricht gedruckt ist. Der Domino-Logik, mit der Sie die Politik der Bundesregierung verteidigen, kann ich nicht folgen. Statt dem Schrecken ein Ende zu bereiten haben Sie die Grundlage gelegt für einen Schrecken ohne Ende.

Dass dies gegen den Willen der überwiegenden Mehrheit der Deutschen geschieht, werden Sie ebenso wenig bestreiten können, wie dass der Euro gegen unseren Willen eingeführt wurde.

Mein Verständnis von Demokratie ist ein anderes und ich hätte mir gewünscht, als Ehrlicher nicht erneut der Dumme sein zu müssen, der die Rechnung zahlt.

Die logische Konsequenz kann nur sein, dass ich mein Verhalten ändere, Kredite aufnehme und künftig ebenfalls wild spekuliere, statt zu arbeiten. Die nunmehr garantierten Spekulationsgewinne haue ich auf den Kopf.

Und falls wider erwarten doch etwas schief geht, kann ich mich ja offensichtlich auf Ihre Mithilfe verlassen, damit solide wirtschaftende Menschen und Unternehmen den Schaden begleichen müssen.

Schade eigentlich. Als Sie seinerzeit Kohl beerben wollten, hatte ich tatsächlich geglaubt, Sie könnten es besser.

Auch in diesem Sinne wünscht Ihnen eine gute Besserung

Michael Simm

Heute dazugelernt: Europa Top in Lebensqualität

Wer hat´s erfunden, die Lebensqualität? Die Europäer und, ja, natürlich vor allem die Schweizer! Dies ist zumindest das Ergebnis einer Erhebung der Beratungsfirma Mercer Consulting, die Städte in 215 Ländern bewertet hat. An erster Stelle lag zwar Wien, doch auf Platz bereits der Vorjahressieger Zürich, gefolgt von einer weiteren Schweizer Großstadt, Genf. Die Hauptstadt der Eidgenosen, Bern, belegte Platz 9.

Aus insgesamt 38 Bestandteilen setzt sich der Mercer-Lebensqualitätsindex zusammen, darunter die Sicherheit und politische Stabilität, Bildung und Kaufkraft, aber auch der Zustand der Umwelt und das kulturelle Angebot bis hin zur Verfügbarkeit von Internetdiensten. Als Referenz dient New York mit einem Punktwert von 100. Demgegenüber kam Wien auf 108,6 Punkte und das Schlusslicht – Bagdad – auf 14,4.

In Deutschland ist demnach Düsseldorf die lebenswerteste Stadt. Zwar fällt es mir schwer, dies zu glauben, aber mit 107,2 Punkten belegen die Rheinländer Platz 6 auf der Hitliste und schlagen damit sogar München (107,0 Punkte, Platz 7). Direkt danach folgt Frankfurt (106,8, Platz 8 ) und spätestens jetzt wird mir klar, dass dies womöglich eine verkappte Rangliste für Investmentbanker sein könnte – und natürlich auch eine PR-Maßnahme, die der Firma Mercer Consulting neue Kunden zuführen soll. Andererseits: Berlin landet auf Platz 16, Nürnberg auf 23 und Hamburg erst auf Rang 28. Punkten konnte Deutschland vor allem mit seiner Infrastruktur, die laut Mercer „eine der besten der Welt“ ist. Hmm. Anscheinend ist keiner der Tester hier im Winter mit der Bahn gefahren oder wegen eines Pilotenstreiks festgesteckt.

Erstaunlich für mich: Die höchstplazierten US-amerikanischen Städte sind Honolulu (29) und San Francisco (30). Vielleicht liegt das ja daran, dass es auf Hawaii kein (ordentliches) Bier gibt und in San Francisco keine Hippies mehr? Wenn schon Nordamerika, dann Kanada, das mit Vancouver Platz vier belegt (Punktgleich mit Auckland, Neuseeland). Mit Toronto auf Platz 15, Ottawa Platz 16, Montreal Platz 22 und Calgary Platz 26 schlagen die Kanadier ihre Nachbarn um Längen.

Versucht man eine Art Kontinentalwertung, so liegt Europa klar vorne. Natürlich nicht wegen, sondern trotz der EU-Politik. Außer der Schweiz, Österreich und Deutschland tragen die Benelux-Staaten und die skandinavischen Länder wieder einmal erheblich zur guten Bilanz der Europäer bei: Kopenhagen kam auf Platz 11, Amsterdam 13, Brüssel 14, Luxemburg 19, Stockholm 20, Oslo 24. Dublin wurde 25. und London ist weltweit nur die Nummer 38. Ätsch.

Im Asiatisch-Pazifischen Raum dominieren Australien und Neuseeland. Unter den Asiaten vorne liegt Singapur auf Rang 26 weit abgeschlagen dagegen die Chinesen. Selbst Peking konnte sich trotz der Olmypiade lediglich vom 116. auf den 113. Rang verbessern.

Wie im Vorjahr hat es auch dieses Jahr keine einzige Stadt im mittleren Osten oder in Afrika unter die ersten 50 geschafft.

Heute dazugelernt: Hartz IV

Immer schön am Ball bleiben, habe ich mir gedacht und führe heute eine neue Rubrik für mein Blog ein: Unter „Heute dazugelernt“ will ich meine Leser in Zukunft teilhaben lassen an mehr oder weniger neuen Dingen, die mir bemerkenswert erscheinen. Zumeist handelt es sich Neuigkeiten, die ich bei meiner alltäglichen Informationsbeschaffung gelesen, gehört oder gesehen habe. Alles soll möglichst kurz abgehandelt werden und auch meine Quellen gebe ich an, damit Sie wissen, wo´s herkommt. Und los geht´s:

(Badische Zeitung, Thema des Tages) 6,7 Millionen Menschen in Deutschland kriegen Hartz IV, nämlich 2,2 Millionen Langzeitarbeitslose und deren Familien. Momentan bekommen Erwachsene 359 Euro im Monat und Kinder zwischen 215 und 287 Euro. Außerdem gibt´s Zuschüsse für Miete und Heizung. Derzeit kostet diese Art der Stütze den Staat (also uns) 45 Milliarden Euro jährlich. Was ich nicht wusste: Berechnet wird die Höhe des Zuschussen danach, was die ärmsten 20 Prozent der Single-Haushalte verbrauchen, die kein Hartz IV kriegen. Rony Gert Bürckholdt fasst das Problem elegant zusammen und erklärt, warum niemals alle mit den Harzt IV-Sätzen zufrieden sein werden. Dafür müssten nämlich zwei Ziele erfüllt sein, die sich gegenseitig wiedersprechen: Die Sozialverbände wollen eine möglichst hohe „Grundsicherung“ für die Betroffenen. Vertreter der freien Marktwirtschaft und Arbeitsmarktexperten sind jedoch dagegen, dass nicht arbeitende Hartz IV-Empfänger mehr Geld bekommen als Vollzeitbeschäftigte. Bürckholdt spricht vornehm vom „Problem des Arbeitsanreizes“. Es besteht darin, dass es sich für einen Langzeitarbeitslosen erst dann lohnt, eine Vollzeitstelle anzutreten, wenn er damit mehr verdient, als seiner Familie an Hartz IV zusteht – „und dieser Mehrverdienst auch die geringere Freizeit aufwiegt“. Bei Familien mit Kindern liegt die Schwelle bei durchschnittlich 1800 Euro monatlich. Das Institut für Weltwirtschaft Kiel hat zu diesem Problem eine Studie mit dem Titel „Die Hartz-IV-Falle“ veröffentlicht und schlägt unter anderem mehr Kindergeld und Fortbildungsmaßnahmen vor.

Meine Lösung würde anders aussehen: Belohnt Arbeit wieder, indem bundesweit ein Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde eingeführt wird. Jeder, der 40 Stunden die Woche buckelt, könnte dann nicht nur seine Grundbedürfnisse decken (Essen, Kleidung, Wohnung) sondern auch noch genug übrig behalten, um sich ein paar Wünsche zu erfüllen und etwas zur Seite zu legen. Anschließend bitte das gesamte Hartz IV-System entsorgen und durch eine angemessene – von mir aus gerne bedingungslose – Pro-Kopf-Pauschale ersetzen, mit der Grundbedürfnisse (s.o.) bezahlt werden können. Übrigens: Mehr zur Hartz-IV-Debatte bietet diese Sonderseite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dort konnte ich unter anderem Nachlesen, wie groß der Anteil der Hartz-IV-Empfänger in den verschiedenen Bundesländern ist. In Berlin ist dies laut FAZ jeder Sechste (!), bei uns in Baden-Württemberg aber nur jeder 20te. Gruß an die Hauptstadt: Diese Art der Umverteilung stinkt mir gewaltig. Zahlen für das Jahr 2006 finden Sie übrigens in dieser Grafik des Statistischen Bundesamtes, und dort gibt´s auch die Pressemitteilung Soziale Mindestsicherung in Deutschland.

Erfreulich war heute für mich das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu Hartz IV. Meine Interpretation: Die größte Sozialreform, die es in Deutschland je gegeben hat, ist unrechtmäßig ist, weil die Grundlage der Berechnung willkürlich, undurchsichtig und damit ungerecht ist. Das muss nun bis Ende des Jahres geändert werden und wird sich voraussichtlich in mehr Geld für die Kinder niederschlagen. Hauptsächlich aber bestärkt mich dieses Urteil in dem Glauben, dass die Macher und Umsetzer der Hartz-Reformen, also die Regierungen seit Gerhard Schröder, Murks gemacht haben. Das Bundesverfassungsgericht hat die Voraussetzung geschaffen, diesen Murks zu beseitigen und durch gerechtere Gesetze zu ersetzen.Was geschehen muss, bringt Holger Stelzner in einem Kommentar für die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf den Punkt: „Die Regierung steht vor der Herausforderung, den Sozialstaat zu beschränken, um ihn zu beschützen. Sie muss den Teufelskreis an der Stelle durchbrechen, wo staatliche Fürsorge den Anreiz zu Eigenverantwortung erstickt. Das deutsche Transfersystem muss nicht weiter ausgebaut, sondern grundsätzlich umgebaut werden, um den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft zu erhalten.“

Wenn ich mir allerdings die Reaktionen der Politnasen anschaue (z.B. beim Staatssender ARD), dann kann ich an solch eine Änderung nicht mehr glauben, als an den Weihnachtsmann.

Buchtipp: Von der Schönheit des Guten

Etwa 80000 neue Bücher erscheinen jedes Jahr in Deutschland – und die meisten davon braucht kein Mensch. Ich denke, dies ist ein guter Grund, auf einen Klassiker hinzuweisen: Die  „Gedankensammlung“ des 1882 verstorbenen Amerikaners Ralph Waldo Emerson, die unter dem Titel „Von der Schönheit des Guten“ erschienen ist (Bei Kauf bekomme ich eine Provision). Wahrscheinlich hätte der Autor schon wegen seines „komischen“ Namens keine Chance, sich heute Gehör zu verschaffen. Niemand würde den ehemaligen Wanderprediger in eine Talkshow einladen. Unter den Marktschreiern und Eso-Päpsten unserer Zeit würde der Non-Konformist eingehen wie eine Primel.

Emerson hat nie die große Bühne der Welt betreten, sein Leben hatte nichts Romanhaftes und nichts Romantisches, warnt sein Biograph Egon Friedell bereits im Vorwort des schmalen Bandes. „Die Grundeigenschaft, die Emerson als Mensch wie als Schriftsteller in gleichem Maße kennzeichnete, war eine ungeheure Selbstverständlichkeit, zu der alle aufregenden, auffallenden und überraschenden Züge nicht passen wollen“, schreibt Friedell. Emersons Leben sei im Gegensatz zu dem der meisten Menschen frei gewesen von Sprüngen, Rissen, unorganischen Beimengungen und Gewolltheiten, erfahren wir.  Und dass er seine natürlichen Lebensbedingungen begierig aufgesucht habe, statt wie der Rest danach zu streben, sie willkürlich zu verändern. „Sein Leben floß mit der einfachen und ausgeglichenen Richtkraft eines Stromes dahin, der sich selbst sein Bett gräbt und durch die natürlichen Fallgesetze seinen Lauf bestimmt.“

Mich hat der 1882 verstorbene Emerson denn auch nicht mit seinen Taten beeindruckt, sondern mit seinen Gedanken, die kurzen Tagebuchnotizen entstammen und die mitunter als die „intellektuelle Unabhängigkeitserklärung Amerikas“ gepriesen werden. Dabei ist die lockere Form der Darstellung stark beeinflusst von einem anderen Querdenker, dem „Erfinder“ des Essays, Michel de Montaigne.

Wie Montaigne hat auch Emerson seine Gedanken bestimmten Themen zugeordnet. So schreibt er über Kunst und Kultur, Natur und Gesellschaft, Arbeit und Wohlstand, Liebe und Schönheit,  Erfahrung und Erfolg, Freundschaft und Schicksal. Er denkt nach über Intellekt und Illusion, über Mut und Selbstständigkeit, über Frömmigkeit oder das Alter. Und er verrät uns seine Meinung über berühmte Zeitgenossen wie Goethe und Napoleon, ebenso wie über verstorbene „große Männer“, von Plato über Shakespeare bis zu Montaigne.

Nicht jede Meinung Emersons muss man teilen. Und mehr noch als die antiquierte Sprache verhindert die enorme Dichte der Ideen die schnelle Lektüre an einem verregneten Sonntag-Nachmittag. Doch wer bereit ist, diese kleinen Hürden zu überspringen, wird dafür mit jeder Menge tiefer Einsichten und Inspirationen belohnt. Meine Ausgabe des Buches habe ich mit zahlreichen Markierungen und Randnotizen versehen. „Von der Schönheit des Guten“ ist ein Buch zum Mitdenken und es zählt sicher zu den wenigen Werken, die mir das Gefühl geben: Einmal lesen ist nicht genug.

Gut möglich auch, dass Überlegungen, die mir wenig einleuchtend erschienen, anderen Lesern umso mehr Gewinn bringen (oder dass sie die eine oder andere Passage verstehen, die mir zu hoch erschien…). Warum ich „Von der Schönheit des Guten“ zu meinen Lieblingsbüchern zähle, wird hoffentlich durch die folgenden Zitate klar. Sie sind eine kleine Auswahl jener Passagen, die ich mir dick angestrichen habe. Und wer darin nichts Besonders finden kann, mag getrost auf die Lektüre verzichten.

Der Schöpfer des guten Buches ist der gute Leser. Ein guter Kopf wird nichts nutzlos lesen: in jedem Buche findet er vertrauliche Mitteilungen und Seitenbemerkungen, die allen anderen verborgen bleiben und die zweifellos nur für sein Ohr bestimmt sind…

Jedes Schiff ist ein romantischer Gegenstand, solange wir nicht darin sitzen. Steige hinein, und die Romantik flieht dein Fahrzeug und hängt sich an das Segel des nächsten Schiffes. Unser Leben erscheint uns trivial, und wir scheuen die Erinnerung daran. Der Mensch scheint vom Horizont gelernt zu haben, der auch die Kunst besitzt, immer zurückzuweichen und sich immer auf andere zu beziehen.

Es ist eine Täuschung, wenn man glaubt, daß die gegenwärtige Stunde nicht die kritische, die entscheidende Stunde sei. Schreibe es in dein Herz, daß jeder Tag der beste Tag des Jahres ist. Niemand hat vom Leben etwas ordentliches gelernt, solange er nicht weiß, daß jeder Tag Gerichtstag ist… Der allein ist reich, dem der Tag gehört.

… es gibt keinen Menschen, der nicht seinen Lastern zu Dank verpflichtet wäre, wie es keine Pflanze gibt, die sich nicht von Dünger nährte. Wir wollen nur eines: daß der Mensch sich veredle, und daß die Pflanze wachse und den Mist in schöne Blüten verwandle.

Der Verstand kann sich gerade so wenig selbsttätig entleeren, wie es eine Holzkiste kann. Der Wunsch, uns beim Sprechen den Bedürfnissen eines anderen anzupassen, kürt unseren eigenen Geist. Eine bestimmte Wahrheit hat von uns Besitz ergriffen und ringt mit allen möglichen Mitteln danach, sich zum Ausdruck zu bringen. Jedesmal, wenn wir etwas gesprächsweise von uns geben, vollbringen wir eine mechanische Arbeit, indem wir es leicht und handlich weiterbefördern. Ich schätze die mechanischen Leistungen des Gesprächs. Ein Gespräch ist Flaschenzug, Hebel und Schraube.

Andere Gedanken erschienen mir zunächst als Binsenwahrheiten, deren Tiefe sich erst bei einem kurzen Innehalten offenbarte. Ein Beispiel:

Alles Gute liegt auf der goldenen Mittelstraße. Die mittleren Regionen unseres Lebens sind die gemäßigten Zonen. Wir können in die dünne und kalte Luft der reinen Geometrie und der leblosen Wissenschaft klettern, und wir können in die Welt der Sinne herabsinken. Zwischen diesen beiden Extremen liegt der Äquator des Lebens, des Gedankens, des Geistes, der Poesie – ein schmaler Gürtel.

Als gelernter Naturwissenschaftler, Skeptiker und bekennender Gegner jeder Art von Eso-Quatsch, hat mir der folgende Ausspruch gut gefallen:

Flache Menschen glauben an Glück, glauben an äußere Umstände: irgend ein Name war schuld, oder man hätte damals gerade woanders sein sollen, oder es  war damals so und an einem anderen Tag wäre es anders gewesen. Starke Menschen glauben an Ursache und Wirkung.

Jeder kennt sie. Die Nervensägen, Idioten und Blödmänner (im badischen heißen sie Dappschädel), die uns an den Rand des Wahnsinns treiben. Aber wer hätte schon jemals eine ähnlich tolle Beschreibung dieser Charaktere geliefert, wie Emerson?

Die Stupidität eines einzigen verdrehten Gehirns kann die besten Köpfe außer Rand und Band bringen, denn wir müssen ja mit seiner Albernheit kämpfen. Aber der Widerstand bringt den bösen Narren noch mehr in Saft, denn er glaubt, daß Natur und Schwerkraft völlig unrecht haben und nur er allein recht hat… Es ist wie in einem Boot, das zu kentern droht, oder in einem Wagen, an dem die Pferde scheu geworden sind: – nicht nur der verrückte Pilot oder Kutscher, sondern jeder Insasse ist gezwungen, die lächerlichsten und absonderlichsten Stellungen einzunehmen, um das Fahrzeug im Gleichgewicht zu halten und das Umstürzen zu verhindern. Wie sollten wir mit Leuten auskommen können, die nicht zu uns passen? Wenn wir mit ihnen zusammen bleiben, so ist der größte Teil unseres Lebens vergeudet, und unsere Erfahrung kann uns kaum etwas Besseres hierüber lehren, als unser erster Instinkt der Selbstverteidigung, nämlich: uns nicht mit ihnen einzulassen, uns in keiner Weise mit ihnen abzugeben, sondern ihrem Wahnsinn ruhig sein Lauf zu lassen.

Oder, aus aktuellem Anlaß:

… Wenn alle Menschen sich ausschließlich dem Bezahlen von Rechnungen widmen wollten, wäre das nicht eine Ungerechtigkeit? Hat man keine anderen Schulden als Geldschulden, und müssen alle übrigen Ansprüche hinter den Forderungen eines Wirtes oder eines Bankiers zurückstehen?

Bei gesunden wirtschaftlichen Verhältnissen fließt das Eigentum von selbst von den Faulen und Unfähigen zu dem Emsigen, Tapferen und Ausdauernden.

Solange unsere Zivilsation in der Hauptsache sich auf Eigentumsrechte, auf Einzäumungen und Absperrungen stützt, wird sie immer das Opfer von Enttäuschungen sein.

Nicht alles scheint mir frei von Widersprüchen, doch selbst die Selbstzweifel, die Emerson durchscheinen lässt, bereichern die Lektüre:

Obwohl diese ewige Geschwätzigkeit im Ratgeben uns angeboren ist, so muß ich dennoch gestehen, daß wir aus dem Leben mehr Verwunderung als Belehrung ziehen. Es greift soviel Schicksal, soviel unüberwindliche Macht des Temperamentes und unbekannter Eingebung in unser Leben ein, daß es zweifelhaft erscheint, ob wir aus unserer eigenen Erfahrung irgend etwas sagen können, womit einem anderen gedient ist…

Das hält den Dichter aber nicht davon ab, uns zu raten:

Hänge kein trauriges Bild an deine Wand und beflecke deine Reden nicht mit schwarzer Schwermut. Sei kein Zyniker und kein Prediger der Trostlosigkeit. Jammere und wehklage nicht. Lasse alle verneinenden Reden. Belebe uns durch unaufhörliches Bejahen. Erschöpfe  dich nicht in Kritteleien und kläffe nicht gegen das Schlechte, sondern erzähle uns von der Schönheit des Guten.

Das ist ein guter Ratschlag, finde ich. Und die gute Nachricht ist, dass man für das Taschenbuch keine zehn Euro ausgeben muss, zum Beispiel hier, bei meinem Werbepartner Amazon.

Über Wein – Versuch einer Verführung

Ok, ich gebe es zu. Ich hatte ´mal wieder einen Rückfall. Eigentlich wollte ich nämlich erst mal keine neuen Weine mehr kaufen. Wegen der miesen Geschäftslage, der stagnierenden Wirtschaft und weil mein Geld ja eigentlich gebraucht wird, um die Not leidenden Banken zu unterstützen. Aber dann habe ich mir gedacht: Wer weiß, ob es nächstes Jahr noch Wein zu kaufen gibt? Und außerdem: Das Leben ist zu kurz für schlechten Wein und billigen Whisky. Wahrscheinlich ist das Geld in einigen Kisten Großer Gewächse ohnehin besser angelegt als bei 0,5 Prozent Zinsen auf dem Festgeldkonto. Kurzum: Wenn es um Ausreden geht, Wein zu kaufen, fällt mir immer ´was ein.

Also habe ich mich wieder zu einer Einkaufstour hinreißen lassen von der neuesten Ausgabe des Gault-Millau WeinGuide (bei Kauf Provision an mich) und von meinem Lieblings-Weinhändler Pinard de Picard. Während der knapp 900 Seiten starke Schmöker längst zur Bibel für Weinfreunde geworden ist, sind die Geschäftsführer von Pinard de Picard zu Hohepriestern des Genusses aufgestiegen. Mit ihren Lobgesängen auf edle Tropfen und eigensinnige Winzer sorgen Tino Seiwert, Martin Lehnen und Ralf Zimmermann bei mir für feuchte Augen und zerballern ein ums andere Mal meinen Vorsatz, erst dann wieder einzukaufen, wenn die Vorräte zu Neige gehen.

Hier eine kleine Kostprobe zum „Schloßböckelheimer Felsenberg“, einem Großen Gewächs von Tim Schäfer-Fröhlich, der wiederum von GaultMilleau gerade zum „Winzer des Jahres“ gekürt wurde.: „Bei aller inneren Dichte und Urgewalt halten eine gebirgsquellklare Frucht (zurzeit dominieren gelbe Steinfrüchte), eine – noch beißende –, salzige, irre Mineralität und eine kristalline Frische diesen famosen Riesling in einem unsichtbaren Gravitationsfeld fest wie die Sonne ihre Planeten. Das ist urwüchsige Kraft ohne Schwere, laserstrahlartig gebündelte Energie! Aber auch eine lustvolle Opulenz! Und welch kühle Frische, die zärtlich die Zunge ummantelt, eingebettet in eine cremige, saftige Textur…“

Auch ich liebe Rieslinge, aber so rede ich sonst nur von meiner Freundin 😉

Jedenfalls schien es mir wieder einmal höchste Zeit, Vorsorge zu treffen für die langen Winterabende und um meine Freunde nicht zu enttäuschen, die immer gerne zu Besuch kommen. Außerdem brauche ich Wein für die Kochabende mit meinen Männerfreunden, damit ich trotz meines mangelnden Talents am Herd dabei sein darf. Wein kann ein abendfüllendes Gesprächsthema sein. Weinproben erweitern den Horizont, sei es beim Winzer oder wie in meiner Wahlheimat Offenburg in Form von Seminaren an der Volkshochschule (!). Und wenn ich selbst eingeladen bin macht es mir immer wieder großen Spaß, das Weltbild jener Leute ins Wanken zu bringen, die ernsthaft versichern einen gaaannz tollen Wein bei Lidl entdeckt zu haben – für € 2,99! Klar gibt es auch in Supermärkten tolle Weine und manchmal auch richtig günstige Angebote. Aber wer den hiesigen Winzern auch nur gelegentlich bei der Arbeit zuschaut, und wer sich ein wenig mit der Kunst des Weinbaus beschäftigt hat, kann doch nicht ernsthaft erwarten, für eine ordentliche Flasche weniger zu zahlen, als für ein Kilo Trauben auf dem Wochenmarkt oder für eine Dose „Red Bull“ an der Tankstelle.

„Aber das ist ja alles sooo kompliziert“, höre ich immer wieder als Antwort auf meine Versuche, anderen die Liebe zum Rebensaft zu vermitteln. Doch man muss ja nicht aus allem eine Wissenschaft machen. Ein gleichermaßen schönes wie hilfreiches Buch für Einsteiger ist zum Beispiel der „Weinkurs“ von Fiona Beckett. Das reich bebilderte Werk hilft, „Ihren“ Wein zu finden. Ob Frische oder Reife, Frucht oder Holz den Gaumen mehr erfreuen, kann man meist schon vor dem Öffnen der ersten Flasche erahnen. Im zweiten Schritt nutzt Beckett dann als Orientierungshilfe den Aromakreis, der sehr anschaulich darstellt, welche Geschmäcker und Gerüche im Wein vorkommen können und welche für die verschiedenen Rebsorten typisch sind. Ob Zitrus oder Feuerstein, Pfeffer, Honig oder Dutzende anderer Aromen – es hilft enorm zu wissen, was einem da womöglich alles in die Nase steigt.

Warum Wein so schmeckt wie er schmeckt, erläutert Beckett ebenso einleuchtend wie Fragen zur Auswahl im Restaurant, wie man seine Tröpfchen optimal lagert und stilvoll serviert, oder welcher Wein zu welchem Essen passt. Auf ihrer – englischsprachigen – Webseite „Matching Food and Wine“ bietet die britische Gastrokritikerin auch Hilfe bei Zweifelsfällen wie z.B. indischen Speisen, wo andere per Google gefundene „Experten“ mit ihren Statements nur Verwirrung stiften (Grauburgunder wäre richtig gewesen – wer hätte das gedacht?).

Noch einen weiteren Verbündeten im Kampf für mehr guten Geschmack möchte ich empfehlen: Kurt Gibel mit seiner genialen Fibel „Weine degustieren, leicht und spielend„. Hier lernt man die Kunst der Weinverkostung statt mit grauer Theorie vor allem anhand sinnlicher Zeichnungen auf den ausklappbaren Buchdeckeln. Sie leiten an, der Reihe nach Eigenschaften wie Transparenz und Oberfläche, Farbe und Intensität sowie natürlich den ganzen Strauß von Aromen zu erkunden.  Auch wenn Sie gestern noch sprachlos ins Glas geschaut haben, werden Sie sich wundern, wie schnell man sich ein Urteil über Harmonie und Charakter eines Weines bilden kann. Und zu Weihnachten – das wäre meine Hoffnung – werden Sie dann selbst schon ein paar Flaschen auf den Tisch stellen, den Korken ziehen, das Glas füllen und seelig-besinnlich Ingwer-, Zimt- oder Muskatdüfte orten in dem körperreichen, aber harmonischen Roten der da den Gaumen umschmeichelt…