Abwrackprämie: 39 für Einen

Jetzt ist es also beschlossen: Nicht nur 1,5 Milliarden Euro sondern mehr als die dreifache Summe müssen wir Steuerzahler in den nächsten Jahren, vielleicht Jahrzehnten bezahlen, damit andere sich neue Autos kaufen dürfen. 5 000 000 000, weil Lobbyisten wieder einmal erfolgreich waren und weil die regierenden Parteien beschlossen haben, lieber Wahlkampfgeschenke zu verteilen, als mit unserem Geld sorgfältig zu wirtschaften. Zugute kommt dies immer noch nur einer kleinen Minderheit, auch wenn die Zahl von zwei Millionen Autos zunächst beeindruckend erscheint. Eine einfache Überschlagsrechnung zeigt nämlich, dass damit nur etwa jeder vierzigste Einwohner in den Genuss dieser Subvention kommt. Anders gesagt: 39 Menschen zahlen, einer macht Gewinn. Geht man von etwa 50 Millionen Steuerzahlern aus, so berappen diese pro Kopf 100 Euro für die Abwrackprämie – Zinsen nicht eingerechnet.

Genau so ungerecht geht es in der Wirtschaft zu: Heute profitieren Gebrauchtwagenhändler und die vorwiegend ausländischen Hersteller kleiner Wagen – alle anderen Branchen gehen leer aus. Selbst die Subventionsempfänger jammern schon ´mal vorsorglich, weil natürlich die Nachfrage ab dem 1. Januar 2010 zusammenbrechen wird, denn schließlich ist der Markt dann auf Jahre gesättigt. Wie kurzsichtig darf Politik eigentlich sein? Ist es nicht offensichtlich, dass die allermeisten derjenigen, die sich von der Abwrackprämie zum Autokauf verlocken lassen, dann eben kein Geld mehr haben, um beispielsweise ihr Dach zu renovieren, ihre Garderobe zu erneuern, in die Wirtschaft zu gehen oder einen neuen Computer zu kaufen? Subventionen – und um nichts anderes handelt es sich hier – sind das Gegenteil von Solidarität.

„Dies ist nun einmal der Preis, den wir zahlen müssen, damit es uns bald allen wieder besser geht“, höre ich Sie sagen. Mir wäre es wohler, ich hätte dieses Geld behalten dürfen. Aber wenn diese Regierung es sich schon anmaßt, die Steuereinnahmen und Steuererhöhungen der Zukunft in „Konjunkturprogramme“ zu stecken, dann bitte so, dass alle davon profitieren. Ein Vorschlag, der bereits auf dem Tisch lag und zugunsten erfolgreicher Lobbyisten beiseite gefegt wurde lautet: Zumindest die Hälfte aller Gelder zu Rettung der Konjunktur sollte in Form von Konsumgutscheinen verteilt werden, über deren Verwendung die Empfänger frei entscheiden können.

Ich würde damit zuerst ins Eiscafé gehen und mit dem Rest in den Biergarten 😉

Und wie sieht Ihr Traum von einem gerechten Konjunkturpaket aus?

P.S.: Am besten bringt es Winand von Petersdorf heute in einem Kommentar der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Online auf den Punkt: „Einige Menschen in diesem Land zahlen fleißig Steuern, haben kein Auto zum Abwracken, sind nicht systemrelevant und darüber hinaus nicht mit der Macht und Chuzpe gesegnet, die Politiker zu erpressen. Sie beziehen keine Sozialhilfe. Sie arbeiten und wappnen sich gegen schlechte Zeiten durch Sparsamkeit. Sie gehören in diesem Land zu den ärmsten Hunden.“

Schlauer gegen Hunger

Lebensmittellieferungen sind das falsche Rezept, um den Hunger in der Welt zu bekämpfen und sie sind bis zu sechs Mal teurer als Hilfe zur Selbsthilfe, kritisiert der Agrarexperte Pedro A. Sanchez von der Columbia Universität im US-Bundesstaat New York in einem Beitrag für die aktuelle Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature (Band 458, Seite 148 vom 12. März 2009).

„Die vorherrschenden Methoden funktionieren wie Heftplaster: Es sind schnelle Lösungen, die nichts an den Ursachen des Hungers ändern“, beklagt Sanchez und verweist darauf, dass alleine die USA im Jahr 2006 etwa 1200 Millionen Dollar für die Lieferung von Nahrungsmitteln nach Afrika bezahlt hätten – gegenüber lediglich 60 Millionen für Entwicklungsprogramme in der Landwirtschaft. Sanchez, der Direktor für Tropische Landwirtschaft am Earth Institute der Columbia Universität ist, hat die Kosten der verschiedenen Ansätze ausgerechnet: Um eine Tonne Mais aus den USA zu einem der Verteilungslager in Afrika zu bringen, sind demnach 812 Dollar nötig. In etwa 80 so genannten Milleniumsdörfern – einem Projekt, das Sanchez mit aus der Taufe gehoben hat – bot man Kleinbauern in besonders vom Hunger gefährdeten Gebieten Afrikas dagegen Düngemittel und verbessertes Saatgut an, lehrte ihnen den Umgang mit neuen Techniken und bot ihnen die Möglichkeit, den selbst erzeugten Mais auch zu verkaufen. Dadurch hätten sich die Erträge von 1,7 auf 4,1 Tonnen pro Hektar mehr als verdoppelt, und die Kosten für den Mais hätten letztlich nur bei 135 Dollar pro Tonne gelegen – also nur ein Sechstel dessen, was für die Nahrungsmittellieferungen bezahlt wurde.

Auch wenn man den Mais in einem afrikanischen Land gekauft hätte, wären die Kosten mit 320 Dollar pro Tonne um fast 500 Dollar unter dem Importpreis gelegen, argumentiert Sanchez. „Würde man nur die Hälfte der gegenwärtigen US-Nahrungshilfe in ´schlaue´ Fördermittel umwandeln, könnte man damit schon Millionen von Bauern helfen, sich selbst zu ernähren, ohne dafür mehr Geld ausgeben zu müssen“, so der Agrarexperte.

Aktuelle Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) gehen von 963 Millionen hungernden Menschen aus – das sind 109 Millionen mehr als noch im Jahr 2004. Schuld seien gestiegene Lebensmittel- und Energiekosten, die Finanzkrise und eine veraltete Entwicklungspolitik. Noch immer liegt der Schwerpunkt im Kampf gegen den Hunger auf der Katastrophenhilfe, also auf jenen 10 Prozent aller Hungernden, die Opfer von Kriegen, Dürreperioden und anderen Desastern werden. Dagegen leiden 90 Prozent aller Betroffenen unter chronischem Hunger und Unterernährung, wodurch vor allem Kinder leichter zum Opfer von Durchfallerkrankungen, Malaria und anderen Seuchen werden. Mit dem Welthungerindex (WHI) versucht man, die Größe des Problems in Zahlen zu fassen sowie Fort- und Rückschritte darzustellen. Die jüngsten Zahlen des WHI stammen aus dem Jahr 2006 und zeigen, dass die Situation in 33 Staaten „alarmierend oder extrem alarmierend“ ist, vor allem in Südasien und in Afrika südlich der Sahara.

Immerhin, stellt Sanchez fest, hätten einige große Hilfsorganisationen damit begonnen, ihre Methoden den neuen Erkenntnissen anzupassen, darunter CARE, das Welternährungsprogramm und die Bill & Melinda Gates Stiftung. Lobend erwähnt wird auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki-moon für seine Unterstützung von Investitionen in die landwirtschaftliche Entwicklung armer Länder, die spanische Regierung und das EU-Parlament, die dafür jeweils eine Milliarde Euro über die nächsten fünf Jahre bereit stellen wollen.

Buchbesprechung: Wer´s glaubt, wird selig von Dieter Nuhr

Eine ziemlich lustige Abrechnung mit Esos, Ökos, Ignoranten, Dumpfbacken, religösen und anderen Fanatikern, gepaart mit einem ordentlichen Schuss Philosophie, gewürzt mit einigen Anleihen aus der Hirnforschung. Kein Wunder, dass mir dieses Buch gefällt, bestätigt es doch im Wesentlichen mein eigenes Weltbild. Oder sind es nur meine Vorurteile? Und wo ist der Unterschied? Gar nicht so einfach, einfache Antworten zu finden, wenn man sich einmal entschlossen hat, die graue Masse zwischen seinen Ohren zu nutzen.

Worum es geht und was der Leser davon hat, dieses Buch zu lesen, beschreibt Autor Dieter Nuhr folgendermaßen: „Mit diesem Buch haben Sie endlich einen Überblick. Es stellt dar, woran der Mensch glaubt, und warum er so bekloppt ist, den ganzen Krempel nicht gleich als Humbug zu erkennen.“ Von dem vielfach preisgekrönten (aber was heißt das schon?) Komiker und Philosophen Nuhr stammt der Ausspruch: „Wenn man keine Ahnung hat – einfach mal die Fresse halten.“ Diese Botschaft transportiert auch dieses Buch und obwohl das ziemlich arrogant klingt, so darf sich ein Schlaumensch wie Nuhr diesen Ratschlag wohl erlauben, zumal er es wie kaum ein Anderer es versteht, seine Angriffe gegen die grassierende Dummheit ausgesprochen lustig zu verpacken.

Dass Nuhr ein schlauer Mensch ist, hat ihm übrigens gerade der Mensa e.V. bestätigt: Dieser Verband der Hochbegabten verlieh dem Wortkünstler gerade den IQ-Preis 2008. Ein weiteres Indiz dafür, dass es sich lohnt, über Nuhr nicht nur zu schmunzeln, sondern auch ´mal nachzudenken, findet sich auf dessen Webseite. Sein Gästebuch musste der Arme nämlich schließen, weil – Zitat – „Da versammeln sich Nazis und alte Sozialisten aus der Stalinschule mit Emanzipationsgeschädigten und Verteidigern von Steinigungen und Auspeitschungen.“ Viel Feind, viel Ehr, würde ich sagen, aber ich schweife ab.

Zurück zum Buch, das sich dem Grundproblem widmet, dass Menschen auch den größten Unsinn glauben, weil sie so wenig wissen. Und woher weiß Nuhr, dass er nicht nur glaubt, wenn er behauptet, dass das 3:2 gegen England in Mexiko in der Verlängerung durch Gerd Müller erzielt wurde? Antwort: „Es handelt sich um eine in meinem Gehirn gespeicherte Geschichte, die dadurch zur Wahrheit wird, dass sie sich mit der Erinnerung anderer deckt“. Vielleicht denkt er aber nur, dass er denkt, könnte man da einwenden oder sich anderer philosophischer Spitzfindigkeiten bedienen. Gut so! Zwar weiß ich nicht, ob Nuhr tatsächlich vorsätzlich seine Leser dazu verführt, über den Sinn des Lebens nachzudenken, aber intelligente Menschen werden sich diesen schön verpackten Denkanstößen wohl kaum verweigern wollen. Ein weiterer Pluspunkt des leicht und schnell zu lesenden Büchleins ist Nuhrs Sammlung von originellen Reisefotos. Sie belegen, dass der Mann nicht nur im stillen Kämmerlein vor sich hin gebrütet hat, sondern tatsächlich in die große weite Welt hinaus gezogen ist, um sich eine Meinung zu bilden. „Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen“, hat Goethe dazu gesagt. Mag sein, aber bei Nuhr klingt das einfach eine Prise lustiger: „Nichts bringt die Relativität der menschlichen Geisteskraft so zum Leuchten wie Reisen. Man kommt nach Hause und weiß: Ich bin nicht der einzige Verrückte! Es gibt Milliarden!“

We are what we do

Eine Bewegung, die urspünglich in London angestoßen wurde als Projekt der gemeinnützigen Organisation Community Links. We Are What We Do heißt auf deutsch „Wir sind, was wir tun“. Diese Bewegung will Menschen dazu anregen, mit einfachen, alltäglichen Dingen die Welt zu verändern. Wir finden, das ist eine prima Idee. Die Philosophie, die hinter dieser Aktion steckt, ist im Wesentlichen die gleiche, die auch besser-machen.de verfolgt.

Das wirft natürlich die Frage auf, ob wir nicht nur ein billiger Abklatsch sind oder – vielleicht noch schlimmer – eine geklaute Idee. Sind wir aber nicht. Die Vorbereitungen für besser-machen.de laufen seit 2002, We Are What We Do ging in England im September 2004 an den Start. Hier geht es aber nicht darum, wer zuerst da war. Wer kann schon wirklich von sich behaupten, eine gute Idee als Erster gehabt zu haben? Unsere Initiave ist jedenfalls kein Konkurrenzprojekt und dass wir „unser eigenes Ding“ machen, sollte niemanden daran hindern, bei We Are What We Do mitzumachen. Ganz im Gegenteil findet man auf der deutschspachigen Website von We Are What We Do jede Menge gute Ideen und Aktionen. Schade, dass deren Buch „Einfach die Welt verändern. 50 kleine Ideen mit großer Wirkung“ manchmal wegen der großen Nachfrage gar nicht so leicht zu kriegen ist.

 

Quellen: Eigendarstellung von We Are What We Do, Artikel in der Wikipedia

Pflegeeltern statt Waisenheim

Ein Experiment mit rumänischen Waisenkindern bestätigt die Vermutung der Experten: Gegenüber der Unterbringung in einem Heim sind geschulte und bezahlte Pflegeeltern die bessere Lösung. In den Familien verlief die körperliche und geistige Entwicklung der Pflegekinder viel schneller. Nach drei Jahren lag ihr Intelligenzquotient um durchschnittlich neun Punkte höher als bei den Heimkindern.

Sieben Jahre ist es her, da entschieden in Bukarest eine Handvoll Lose in einem Hut über das Schicksal von 136 rumänischen Waisenkindern. Nach ausgiebigen Diskussionen zwischen dem zuständigen Ministerium und der örtlichen Kommission zum Schutz von Kindern war man dem Vorschlag amerikanischer Wissenschaftler gefolgt und hatte sich auf ein folgenschweres Experiment eingelassen. So bestimmte das Los für die zwischen sechs und 31 Monate alten Kinder, wer weiterhin in einem der staatlichen Waisenhäuser betreut würde und welche 68 Kinder statt dessen in der Obhut von bezahlten Pflegeeltern aufwachsen sollten. Ziel war es, die Folgen der unterschiedlichen Betreuungsarten auf die frühkindliche Entwicklung möglichst genau zu bestimmen und daraus Empfehlungen abzuleiten für den Umgang mit den über 100.000 Kindern und Jugendlichen, die in dem EU-Land Rumänien ohne ihre leiblichen Eltern aufwachsen müssen.

Die Veröffentlichung der Studie im Wissenschaftsmagazin „Science“ belegt nun eindeutig, wie sehr die vernachlässigten Kinder von der Zuneigung ihrer Pflegeeltern profitiert haben: Ihre geistige Reife, das Sprachvermögen und die Fähigkeit, zu planen und Probleme zu lösen, verbesserten sich erheblich. Zudem waren die Pflegekinder ihren, im Heim verbliebenen, Altersgenossen auch in körperlicher Hinsicht in allen Bereichen überlegen. Den größten Nutzen hatten dabei diejenigen Kinder, die schon vor dem dritten Lebensjahr in die Obhut ihrer Pflegeeltern kamen. Um 12 bis 15 Punkte übertraf deren Intelligenzquotient (IQ) den der Heimkinder zum Abschluß der Untersuchung. Dennoch war die frühkindliche Vernachlässigung auch an den Pflegekindern nicht spurlos vorbei gegangen, wie ein Vergleich mit 72 gleichaltrigen Bukarester Kindern zeigte, die niemals im Heim gewesen waren. Diese nämlich übertrafen den Intelligenzquotient der Pflegekinder nochmals um 10 Punkte übertrafen.

„Kinder, die in Heimen aufwachsen müssen, haben einen deutlich geringeren Intelligenzquotienten“, sagte der Leiter der Studie Charles Nelson, Professor für Pädiatrie an der Harvard Medical School in Boston. Er führt dies auch darauf zurück, dass die Betreuer in den Heimen zuwenig Zeit mit den Kindern verbringen können. Die Waisen lägen dann oftmals stundenlang auf dem Rücken ohne dass sich jemand um sie kümmert. „Je früher man Pflegeeltern für diese Kinder findet, umso besser“, betonte Nelson.

In Rumänien hat man bereits früh auf die ersten Ergebnisse aus der Studie reagiert und die Unterbringung nicht behinderter Kinder unter zwei Jahren in Heimen verboten. Die neuen Erkenntnisse könnten aber auch für Familienpolitiker in anderen Länder mit einer großen Zahl von Waisenkindern wichtig sein, so Nelson. Alleine in Russland leben nach offiziellen Angaben etwa 700.000 Kinder, die von ihren Eltern im Stich gelassen wurden. Und in 93 von der UNICEF untersuchten Entwicklungsländern registrierte man zuletzt 143 Millionen elternlose Kinder. Er hoffe, dass es nicht nur in Rumänien sondern auch an anderen Orten große Veränderungen im Umgang mit diesen Kindern geben werde, kommentierte Studienautor Nelson.

In Deutschland gibt es schon lange keine Waisenheime im klassischen Sinne mehr, erläuterte dagegen Ingeborg Becker-Textor, die frühere Leiterin des Referats „Kommunikation“ im Bayerischen Sozialministerium. Zwar lebten nach Angaben der Jugendämter Ende 2005 annähernd 62.000 Kinder, Jugendliche und junge Volljährige in Heimen oder in betreuten Wohnungen, doch sind dies entweder behinderte oder stark verhaltensauffällige Kinder, die medizinische Betreuung benötigen, so Becker-Textor. Angesichts zahlreicher Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch kämen in Deutschland etwa 40 bis 50 Bewerber auf jedes, zur Adoption freigegebene, „Waisenkind“. Außerdem kümmert sich in Deutschland eine große Zahl von intensiv geschulten Pflegeeltern dauerhaft um etwa 50.000 Kinder. Darüber hinaus haben sich viele als Bereitschaftspflegeeltern verpflichtet, buchstäblich über Nacht Kinder zu sich nehmen, wenn diese durch einen Unfall die leiblichen Eltern verlieren oder vor Mißhandlungen geschützt werden müssen.

Quellen: Cognitive Recovery in Socially Deprived Young Children: The Bucharest Early Intervention Project. Charles A. Nelson et al., Science 318, 1937 (2007), Unicef-Jahresbericht zur Situation der Kinder in der Welt 2006, KomDAT Jugendhilfe, Heft 3/06, S. 2

Weitere Informationen: Rumänien – Land der Waisenkinder und Neureichen: Fotostrecke im „Stern“, Hintergrundbericht von 1999 über „Rumäniens lästige Waisen“ in der Berliner Zeitung, Englische Originalfassung des Unicef-Jahresbericht zur Situation der Kinder in der Welt 2006, Pflegeeltern.de – Portal zum Thema Pflegekinder und Pflegeeltern, Albert-Schweitzer-Kinderdörfer und -Familienwerke

Zwischen Ökologie und Ökonomie

Dreißig Milliarden Dollar – das ist der Preis, den die Vereinigten Staaten jährlich für eine verbesserte Luftqualität aufbringen. Dennoch lebten 1989 rund 60 Millionen US-Bürger in Gegenden, wo die gesetzlichen Richtwerte für die Luftreinheit nicht eingehalten werden konnten.

Dieses drastische Beispiel macht deutlich, daß auch in einem der reichsten Länder der Welt nicht genug Geld vorhanden ist, um die zahllosen Ursachen der Umweltverschmutzung zu beseitigen. Wissenschaftler wie Politiker sehen sich daher gezwungen, den optimalen Einsatz der vorhandenen Mittel sicherzustellen. Zwei Volkswirte des unabhängigen Forschungsinstitutes Resources for the Future haben jetzt eine Kosten-Nutzen-Rechnung zur Ozonreduktion in städtischen Ballungszentren unternommen, deren überraschendes Ergebnis sie in der Fachzeitschrift „Science“ (Band 252, S. 252) veröffentlichten:

„Die Kosten für die geplanten Maßnahmen zur Ozonreduktion sind größer als der Nutzen“, fassen Alan Krupnick und Paul Portney ihre Resultate zusammen. Auch die beiden Ökonomen geben bereitwillig zu, daß die Rechnung „Geld gegen Gesundheit“ mit vielen Fragezeichen behaftet ist. „Es ist sehr unangenehm, das Pro und Contra künftiger Bemühungen zur Luftreinhaltung auf diese berechnende Art abwägen zu müssen. Wir alle hätten lieber grenzenlose Ressourcen, um jede erdenkliche Maßnahme auch umzusetzen.“

Die Wissenschaftler gehen in ihrer Untersuchung davon aus, daß bis zum Jahr 2004 zwischen 8,8 und 12,8 Milliarden Dollar benötigt würden, um die Menge des in den USA freigesetzten Ozons um ein Drittel zu reduzieren. Grundlage für diese Zahl ist eine Studie der Behörde zur Technikfolgenabschätzung OTA aus dem Jahr 1989, die zeigt, daß die Freisetzung von flüchtigen organischen Substanzen von elf auf sieben Millionen Tonnen jährlich verringert werden müßte. Flüchtige organische Substanzen wie Benzin sind neben den Stickoxiden aus dem Kraftverkehr die Hauptverursacher erhöhter Ozonwerte am Boden.

Eine Reduktion dieser Ozonwerte um 35 Prozent innerhalb der nächsten 13 Jahre würde nach Meinung von Krupnick und Portney die Häufigkeit von Asthmaanfällen verringern, Husten und Brustschmerzen wären seltener, und auch die Anzahl der Tage mit verringerter Leistungsfähigkeit für die Anwohner würde zurückgehen. Den Kosten in Höhe von rund zehn Milliarden Dollar stünde dann allerdings ein Nutzen gegenüber, der sich bestenfalls mit einer Milliarde Dollar beziffern läßt. Geht man von pessimistischen Annahmen aus, so stehen auf der Gewinn-Seite sogar nur 250 Millionen Dollar, was einem Vierzigstel der aufgewandten Geldmenge entsprechen würde.

Die Ökonomen veranschlagen dabei etwa die Kosten eines Asthmaanfalls auf 25 Dollar, verringerte Leistungsfähigkeit schlägt mit 20 Dollar täglich zu Buche, und ein Tag mit gelegentlichen Hustenanfällen wird mit fünf Dollar berechnet. Diese Zahlen wurden dann multipliziert mit der Anzahl von Komplikationen, die sich durch eine Reduktion der Ozonwerte verhindern ließen. Ein Asthmatiker hätte epidemiologischen Untersuchungen zufolge über eine Zeit von fünf Jahren hinweg im Schnitt einen Anfall weniger zu erdulden; Gesunde könnten sich darauf einstellen, daß ihnen alle zehn Jahre ein Tag mit reduzierter Leistungsfähigkeit erspart bliebe.

„Ich denke nicht, daß die Leute unsere Ergebnisse besonders schätzen werden“, sagte Portney, „aber wir liefern ja keine Entschuldigung dafür, die Luftverschmutzung zu ignorieren. Unsere Resultate legen aber nahe, daß es der Gesundheit mehr nutzt, wenn das Geld für andere Maßnahmen ausgegeben wird.“ Nach Ansicht der Volkswirte könnten die fraglichen zehn Milliarden Dollar weitaus sinnvoller in Aufklärungskampagnen über die Gefahren des Rauchens oder eine verbesserte medizinische Versorgung vor und unmittelbar nach der Geburt investiert werden.

(erschienen in „DIE WELT“ am 29. Mai 1991)

Müll vermeiden mit Carlo dem Regenwurm

In Merdingen im baden-württembergischen Breisgau produzieren die Bürger nur halb so viel Müll wie in anderen Teilen Deutschlands. Dies ist das Verdienst des Förderkreises Aktion Lebensraum und von – Regenwürmern. Ulrich Schäfer, Initiator des Förderkreises und Leiter der Grund- und Hauptschule Merdingen, gehört zu den 12 deutschen Preisträgern, die im Rahmen des europäischen Umweltpreises gestern in Bonn ausgezeichnet wurden. Belohnt wurden Initiativen von Einzelpersonen und Gruppen, die sich um die „Bewahrung unseres kulturellen Erbes“ verdient gemacht haben.

Schäfer demonstrierte mit seinen Schülern auf einprägsame Weise, wie mit persönlichem Engagement und pfiffigen Ideen unserer Umwelt wirksam geholfen werden kann. In Holzkästen, welche mit Erde gefüllt waren, siedelten die Schüler Regenwürmer an, der in der Schule anfallende Müll wurde obendrauf gekippt. Von Zeit zu Zeit wurden die Tiere durch ein „Guckfenster“ bei ihrer Arbeit beobachtet. Dabei konnten die Schüler feststellen, dass bestimmte Stoffe wie Apfelbutzen und Brotreste bald verschwunden waren, während sich Filzstifte, Aluminiumfolien und andere Abfälle ansammelten.

„Carlo der Regenwurm“ zeigte den Kindern und Jugendlichen die Unterschiede zwischen biologisch abbaubaren Abfällen und den umweltbelastenden Kunststoff- und Metallabfällen. Gleichzeitig lösten Carlo und seine Artgenossen – die übrigens auch bei der Preisverleihung anwesend waren – eine Kettenreaktion aus, die niemand so recht vorhergesehen hatte. Die Eltern sahen sich mit einem äußerst geschärften Umweltbewusstsein der Kinder konfrontiert und waren gezwungen, die Einwände der Sprösslinge („Mama, das mag Carlo nicht“) beim Einkauf zu berücksichtigen.

Der Einzelhandel in dem Ort musste auf die veränderte Nachfrage reagieren; heute werden ein Drittel weniger Getränke in Wegwerfpackungen verkauft. Die Schaffung dieser „müllfreien Schule“ wurde mit 2000 Mark belohnt. Insgesamt vergab die Ford Foundation in diesem Jahr für Deutschland 41.000, europaweit rund 375.000 Mark.

Als deutsches Umweltschutzprojekt 1990 wählte die Jury das „Öko-Modell Allgäu“ unter 120 qualifizierten Bewerbungen aus. Kaspar Weber, Vorsitzender der Wald- und Weidengenossenschaft Hinterstein, nahm den Preis im Trachtenanzug entgegen. Der Kleinbauer hatte in mühevoller Arbeit und mit langem Atem mehr als zwei Drittel der Landwirte in seiner Heimat davon überzeugt, auf Kunstdünger und Pflanzengifte in ihren Betrieben zu verzichten. So finden sich auf den Hindelanger Wiesen am Jochpass auch noch Blumen, Kräuter und Gräser in einzigartiger Vielfalt. Die bergige Landschaft ist von Bächen durchzogen und bietet Lebensraum für allerlei Insekten, Vögel und Reptilien. In den Mooren finden sich Morgentau und Orchideen.

Erschwert wurde Webers Kampf durch den Umstand, dass der Verzicht auf Massenviehhaltung, schwere Landmaschinen und spezialisierte Bewirtschaftung zwar die Qualität der Erzeugnisse verbessert, nicht aber die damit verbundenen Erlöse. Kurzfristig musste daher im chemiefreien Hindelang ein finanzieller Ausgleich für die Bauern geschaffen werden, was aus einem Förderprogramm der EG möglich war.

Unter den vielen bemerkenswerten Initiativen erhielt der Polizeischutz für Fledermäuse den diesjährigen Sonderpreis. Obwohl Fledermäuse seit 54 Jahren in Deutschland gesetzlich geschützt sind, werden immer wieder Brutplätze der Kleinsäuger vernichtet. In Koblenz wurde die Naturschutzbehörde ausdrücklich auf die Gefährdung bestehender Nistplätze in den Rheinanlagen und vor dem Koblenzer Schloss hingewiesen, dennoch wollte man „baumchirurgische Maßnahmen“ ergreifen. Diese hätten nicht nur den Pilzbefall der Bäume beseitigt, sondern auch die letzte Zuflucht des Abendseglers. Obwohl die Aktion in letzter Sekunde durch die Koblenzer Polizei gestoppt werden konnte, ist es doch ein trauriges Zeichen, wenn hierzulande ein Umweltschutzpreis für den Kampf gegen eine Naturschutzbehörde verliehen werden muss.

(erschienen in der WELT am 13. November 1990. Letzte Aktualisierung am 8. Mai 2017)

Was ist daraus geworden? Nostalgisch könnte man werden, wenn man darauf schaut, wie vor bald 30 Jahren umweltfreundliches Handeln und Denken belohnt wurde, ohne dabei sogleich ideologische Grabenkämpfe auszulösen. Natürlich gibt es auch heute einen „Europäischen Umweltpreis“, der allerdings an Unternehmen für ihre Innovationen verliehen wird. Die Ford Foundation hat sich offenbar als Sponsor derartiger Events verabschiedet, aber immerhin: In Hindelang ist alles grün, und man verweist gerne auf das „seit über zwei Jahrzehnten konsequent verfolgte“ Ökomodell.

Kommentar: Klare Sprache

Der Wille, Andere anzuhören, ist Grundlage für gerechte Entscheidungen – nicht nur in der Politik. Offensichtlich war die Mehrheit der politisch Verantwortlichen in Genf aber nicht bereit, den Ratschlägen der weltbesten Klimaforscher die gebotene Aufmerksamkeit zu schenken.

Über die Klimapolitik habe ich mich damals schon geärgert, aber das Vertrauen des Chefredakteurs Manfred Schell hat mich sehr gefreut: Mein erster Kommentar bei der WELT nach nur zwei Monaten als Redakteur im Wissenschaftsressort.

Namentlich die Hauptproduzenten des Treibhausgases Kohlendioxid – die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion – wollen sich aus der Verantwortung stehlen und ziehen sich auf angebliche Unsicherheiten in den Prognosen der Wissenschaftler zurück. Andere, wie die britische Premierministerin Margaret Thatcher, formulieren wohlklingende Erklärungen, um ihre Bremserrolle auf dem Gebiet des Umweltschutzes zu kaschieren. Da nützt es wenig, wenn Deutschland, Frankreich oder die kleine Schweiz drastische Maßnahmen beschließen, um ihrer Verantwortung für das Weltklima gerecht zu werden.

Seit Mai dieses Jahres liegt die Bilanz der führenden Klimaexperten vor. 170 Fachleute aus 25 Ländern haben eine Zusammenfassung des heutigen Standes der Klimaforschung vorgelegt, kondensiert auf 25 Seiten, geschrieben in verständlicher und klarer Sprache. Niemand behauptet, alle Fragen beantworten zu können, doch sind die Empfehlungen eindeutig:

Gehandelt werden muss jetzt, denn die 20 Milliarden Tonnen Kohlendioxid, welche jährlich buchstäblich verheizt werden, haben im Zusammenspiel mit FCKW, Methan und anderen Gasen die Zusammensetzung der Erdatmosphäre schon stärker verändert, als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit.

In Genf saßen Wissenschaft und Politik zwar am gleichen Tisch – aber nicht zur gleichen Zeit. Wenn dieses Beispiel Schule machte, sollte man auf derartige Konferenzen lieber verzichten: Durch die reduzierte Reisetätigkeit tausender Politiker, Forscher und Medienvertreter würde weniger CO2 produziert, man hätte dann einen konkreten Schritt gegen die globale Erwärmung getan.

(Erschienen in der WELT am 8. November 1990)

Warnung: Das Weltklima ist in Gefahr

In Genf diskutieren derzeit Wissenschaftler und Politiker – weitgehend getrennt – über die möglichen Folgen des menschgemachten Treibhauseffektes. Grundlage der Diskussion bilden die Ergebnisse des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), eines Expertengremiums von 170 führenden Klimaforschern aus 25 Ländern. Auftraggeber der in ihrem Umfang bisher einmaligen Studie waren das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen und die „World Meteorological Organisation„.

Geballter Sachverstand: Die Wissenschaftler des IPCC arbeiteten jahrzehntelang ehrenamtlich zu den Ursachen und Folgen von Klimawandel und globaler Erwärung (Von unbekannt – Vektordaten & Logo von ipcc.ch via Wikipedia)

Nach den Worten von John Houghton, der maßgeblich an der Studie beteiligt war, stellen die Resultate des IPCC die derzeit maßgebliche Meinung der wissenschaftlichen Gemeinde dar und dienen damit als Wissensbasis für die Politiker, die sich jetzt Gedanken machen müssen über die erforderlichen Maßnahmen zur Kontrolle des Treibhauseffektes.

Dieser Effekt ist die Grundlage dafür, dass Leben auf der Erde überhaupt möglich ist. Kurzweilige Strahlung von der Sonne durchdringt die Atmosphäre relativ ungehindert. Landmassen und Ozeane nehmen diese Form der Energie auf und geben sie teilweise wieder ab, allerdings in Form langweiliger Infrarotstrahlung, welche die Atmosphäre nicht mehr ungehindert durchdringen kann.

Eine Reihe natürlicher Spurengase wie Wasserdampf, Kohlendioxid, Methan, Stickoxide und Ozon „versperren“ den Weg der Strahlung in den Weltraum und sorgen so dafür, dass die Erde um 33 Grad wärmer ist, als ohne diese Spurengase – ein „Treibhaus“ also, das Wärme speichert.

Problematisch wird dieser natürliche Prozess erst dadurch, dass eine Vermehrung der Treibhausgase zu einem drastischen Anstieg der globalen Temperaturen führen kann. Die Zunahme dieser Gase seit dem Beginn des industriellen Zeitalters ist verhältnismäßig leicht zu messen und wird nicht in Frage gestellt.

Kohlendioxid, das den größten Anteil an den treibhausrelevanten Gasen ausmacht, wurde vor 1800 noch in Konzentrationen von 280 ppm („parts per million“, also millionstel Teile) gemessen. Heute beträgt die Konzentration 353 ppm und wächst jährlich um weitere zwei Prozent. Jährlich setzt die Menschheit 20 Milliarden Tonnen Kohlendioxid frei und verbrennt dabei so viel Öl, Kohle und Gas, wie die Natur in einer Million Jahren geschaffen hat. Auch die Menge an Methan hat sich seit Ende des 19 Jahrhunderts mehr als verdoppelt.

Die zu erwartende globale Erwärmung der Erde wird nicht mehr angezweifelt. Doch welche Wege führen aus dieser Gefahr?

Die Experten des IPCC haben diese und eine Vielzahl anderer Zahlen für Modellrechnungen benutzt, um möglichst zuverlässige Aussagen über das Klima der Zukunft treffen zu können. Die gesamte Studie beschäftigt sich mit drei Fragestellungen: Arbeitsgruppe I, hat die vorliegenden Informationen zu Klimaänderungen zusammengetragen und ausgewertet. Eine zweite Arbeitsgruppe sollte aus diesen Daten Vorhersagen ableiten über die Auswirkungen der erwarteten Klimaänderungen auf Umwelt, Landwirtschaft und die Erdbevölkerung im Ganzen. Die dritte Arbeitsgruppe schließlich hatte die Aufgabe, den politischen Entscheidungsträgern Maßnahmen aufzuzeigen, mit denen die drohende Klimaänderung am sinnvollsten zu verhindern wäre.

Die Wissenschaftler sind sich darin einig, dass die Temperatur auf unserem Planeten während der nächsten Jahrzehnte ständig weiter ansteigen wird, und zwar unabhängig davon, ob die Freisetzung von Treibhausgasen jetzt drastisch reduziert wird, oder nicht. Diese scheinbar paradoxe Situation erklärt sich aus der Tatsache, dass die meisten Gase, die zum Treibhauseffekt beitragen, jahrzehntelang in der Atmosphäre verbleiben. Reduktionen, die jetzt erfolgen, werden also erst im nächsten Jahrtausend spürbare Auswirkungen haben.

Auch wenn die Prognosen der Wissenschaftler noch mit vielen Fragezeichen versehen sind, wird die globale Erwärmung auf 0,3 Grad Celsius pro Jahrzehnt geschätzt. Dieser Vorgang wird über hundert Jahre anhalten, wenn jetzt keine drastischen Maßnahmen ergriffen werden. Die Erwärmung der Erde wird dann größer sein als alles, was in den letzten 10.000 Jahren beobachtet wurde.

Schon während der letzten hundert Jahre hat sich Erde um 0,3 bis 0,6 Grad erwärmt. Die fünf wärmsten Jahre seit Beginn einer globalen Wetterbeobachtung lagen alle zwischen 1980 und 1990. Die beobachtete Erwärmung stimmt mit den Klimamodellen gut überein, bewegt sich aber noch in derselben Größenordnung wie die natürlichen Schwankungen des Klimas.

Das „Signal“, also das Ansteigen der Temperaturen in Bereiche, die außerhalb der natürlichen Schwankungsbreite liegen, wurde bisher noch nicht beobachtet. Nach Meinung der Wissenschaftler ist dies allerdings nur noch eine Frage der Zeit: „Wahrscheinlich wird das Signal in den nächsten zehn Jahren noch nicht beobachtet werden“, heißt es in der Zusammenfassung der Ergebnisse. „Dann aber werden die zu erwartenden Klimaänderungen noch stärker sein als heute“, betonen die Klimatologen.

Die Klimatologen haben sich aber nicht nur mit düsteren Prophezeiungen zufriedengegeben, die beschreiben, was passiert, wenn weiterhin gigantische Mengen an Treibhausgasen in die Atmosphäre geschleudert werden, wenn Tropenwälder abgeholzt werden und die Bevölkerung um das Jahr 2050 die Zehn-Milliarden-Marke überschreitet. Zwei Szenarien werden beschrieben, mit denen ein Ausweg möglich erscheint. Sollten diese Szenarien umgesetzt werden, wird der beobachtete Trend gegen Mitte des 21. Jahrhunderts abbrechen. Spät, aber vielleicht nicht zu spät.

(erscheinen in der WELT am 31. Oktober 1990. Letzte Aktualisierung am 29. April 2017)

Was ist daraus geworden? Leider ist das Thema „Globale Erwärmung“ zu einem traurigen Lehrstück geworden, wie Lobbyisten erfolgreich Zweifel sähen, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu diskreditieren und handfeste Empfehlungen an die Politik zu unterlaufen. Nach 27 Jahren sind sämtliche Vorhersagen der Klimaforscher eingetroffen. Im gleichen Zeitraum wurden die meisten Gegenmaßnahmen sabotiert oder sind im Sand verlaufen, weil sich die größten Umweltverschmutzer vor ihrer Verantwortung drücken. Die Rechnung werden die nächsten Generationen zahlen – vor allem in den armen Ländern.

Verdauungshilfe aus dem Genlabor

Ein gentechnisch hergestellter Futterzusatz soll schon im nächsten Jahr den Phosphatausstoß der Niederlande reduzieren helfen. Phytase, so der Name des Eiweißstoffes, ist für den Einsatz in der Schweine- und Geflügelzucht vorgesehen. Experten gehen davon aus, dass mit dieser Maßnahme jährlich 25 Millionen Tonnen Phosphat weniger freigesetzt werden. Dies ist mehr, als mit der Einführung phosphatfreier Waschmittel erreicht werden konnte.

Phosphate tragen maßgeblich zur Gewässerbelastung bei. Die Substanz wird in der Landwirtschaft in großen Mengen freigesetzt, da sie in der Gülle und auch im Kunstdünger enthalten ist. Da aber die riesigen Mengen Phosphat von den Kulturpflanzen nicht vollständig genutzt werden können, gelangt der Rest in die Flüsse und Meere. Heftiges Algenwachstum bis zum „Umkippen“ der Gewässer kann die Folge sein.

Auf einer Tagung der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft stießen die Ausführungen von Dr. Rob Beudecker daher auf großes Interesse. Beudecker berichtete über Bemühungen, den Schadstoffausstoß der niederländischen Landwirtschaft zu reduzieren. Ausgangspunkt der Forscher war die Überlegung, dass handelsübliches Mischfutter für die Schweine- und Geflügelzucht mit mineralischem Futterphosphat ergänzt werden muss, obwohl der Phosphatgehalt pflanzlicher Nahrung theoretisch ausreichend für die Tiere wäre. Die Bioverfügbarkeit des Phosphates ist unzureichend, weil die Tiere das vorhandene Phosphat nur schlecht verwerten können.

Zwei Drittel des pflanzlichen Phosphates liegen nämlich in Form von Phytinsäure vor, welche nur mit einem bestimmten Eiweißstoff – der Phytase – „geknackt“ werden kann. Wiederkäuer bekommen die Phytase von Mikroorganismen im Pansen, geliefert, Schweine müssen ebenso wie Geflügel ohne die nützlichen Darmbewohner auskommen.

Das Enzym Phytase wird in gentechnisch veränderten Pilzen der Gattung Aspergillus hergestellt und als Futtermittelzusatz benutzt. Es verbessert die Aufnahme von Phosphat bei Geflügel und Schweinen und schont dadurch die Umwelt (Von Ayacop – adapted from http://www.pdb.org/pdb/files/1ihp.pdb using PyMOL, Gemeinfrei, via Wikipedia)

Die Idee, Phytase ins Futter zu mischen, wurde zwar schon vor 20 Jahren zum Patent angemeldet; erst jetzt aber bietet die Gentechnik die Möglichkeit, diesen Biokatalysator in großen Mengen zu niedrigen Preisen zu produzieren. Die Wissenschaftler der Firma Gistbrocades untersuchten über 1000 Mikroorganismen, um dann einen Pilz der Gattung Aspergillus zu isolieren, welcher eine Phytase produzierte, die den Ansprüchen des Marktes genügt: Das Eiweiß ist hochaktiv, vor allem unter den chemischen Bedingungen, die im Kropf des Geflügels sowie im Magen von Schweinen und Vögeln herrschen. Außerdem überlebt die Phytase aus Aspergillus die hohen Temperaturen, die bei der Pelletierung von Futtermitteln entstehen, fast ohne Aktivitätsverlust.

Um das Eiweiß in großen Mengen herstellen zu können, isolierten die Wissenschaftler den molekularen Bauplan für die Phytase und übertrugen dieses Gen erfolgreich auf einen Produktionsstamm. Bei der Verfütterung der so gewonnenen Phytase ergab sich, dass die Verfügbarkeit des Phosphates für Schweine und Geflügel um 20 Prozent zugenommen hatte, gleichzeitig wurde von den Tieren ein Drittel weniger Phosphat mit der Gülle ausgeschieden – was Beudecker für einen sinnvollen Beitrag zum Umweltschutz hält.

Beudecker erwartet jetzt eine Ausnahmegenehmigung der Regierung, sobald der Nachweis erbracht ist, dass die rekombinante Phytase für den Verbraucher unbedenklich ist. Schon im nächsten Jahr soll dann das Futtermittel in Zusammenarbeit mit der BASF auf den holländischen Markt gebracht werden.

In Deutschland ist eine solche Entwicklung übrigens nicht so schnell zu erwarten: In einer Empfehlung des Bundestages wurde die Regierung vor wenigen Wochen aufgefordert, sich in der EG dafür einzusetzen, dass gentechnische Methoden nicht eingesetzt werden, um in der Landwirtschaft weitere Leistungssteigerungen zu erzielen.

(erschienen in der WELT am 23. Oktober 1990. Letzte Aktualisierung am 16. April 2017)

Was ist daraus geworden? Gistbrocades wurde 1998 von der Firma DSM aufgekauft. Ganz selbstverständlich ist heute die Zugabe gentechnisch hergesteller Phytase zum Futter von Schweinen und Geflügel. Und wo früher Horrorszenarien zur Gentechnik an die Wand gemalt wurden, spricht man jetzt von einer „Verbesserung der Nachhaltigkeit“.