Glückliche, reiche Frauen

Über Ungleichheit wird zu Recht viel diskutiert. Beim wertvollsten Gut – unserer Lebenserwartung – gibt es mindestens zwei Dinge, die entscheidend sind.

Reich zu sein ist das Eine. Eine Frau zu sein das Andere. Und am besten ist die Kombination aus beidem: Wie jetzt eine Studie ergab, leben die reichsten Norwegerinnen im Durchschnitt fast 16 Jahre länger als die ärmsten Norweger.

Hintergrund der Studie war eigentlich die Frage, ob soziale Ungleichheit in einem Land das Leben verkürzt. Dafür verglich man Norwegen, wo das reichste Prozent der Einwohner acht Prozent des Gesamteinkommens bezieht, mit den USA, wo die entsprechende Gruppe 20 Prozent des Gesamteinkommens auf sich vereinigt.

Jonas Minet Kinge vom Norwegischen Institut für öffentliche Gesundheit und seine Kollegen nutzten dafür die Informationen zum Haushaltseinkommen pro Person, zur Lebenserwartung und zur Todesursache aus vier miteinander vernetzten norwegischen Datenbanken. Um Verzerrungen durch Kinder zu vermeiden, die auf Kosten ihrer Eltern leben, beschränkten sie die Analyse auf Personen ab 40 Jahren.

Am längsten lebten demnach mit 86,4 Jahren jene Frauen, die zu dem einen Prozent der Top-Verdiener zählten. Frauen mit maximal 10 Prozent des Durchschnittseinkommens lebten dagegen im Schnitt 8,4 Jahre weniger, also 78 Jahre. Damit konnten sie sich aber immer noch deutlich länger des Daseins freuen als Männer in der gleichen Einkommensgruppe. Die hatten nämlich im Durchschnitt nur 70,6 Jahre zu erwarten – also 7,4 Jahre weniger als die „armen“ Frauen; 13,8 Jahre weniger als die reichen Männer und 15,8 Jahre weniger als die reichen Frauen.

Soziale Ungleichheit alleine reicht nicht aus, um die frappierenden Unterschiede zu erklären. So hatten Norweger mit geringem und mittlerem Einkommen zwar eine höhere Lebenserwartung als US-Amerikaner im gleichen Einkommensbereich . Betrachtet man jedoch die Gesamtbevölkerung, so waren die Unterschiede im Verhältnis zum Einkommen in beiden Ländern ähnlich stark ausgeprägt. Diese, in beiden Ländern ähnlich große „Schere“ spricht gegen die Annahme, dass ein staatliches Gesundheitswesen (wie in Norwegen) per se gerechter sein muss. Auch die soziale Ungleichheit der beiden Gesellschaften taugt nicht für eine Erklärung. Die lässt sich nämlich mit dem sogenannten Gini-Koeffizienten messen – und da müsste Norwegen auf Platz 4 eigentlich viel besser abschneiden als die USA auf Platz 31.

Kinge JM et al.: Association of Household Income With Life Expectancy and Cause-Specific Mortality in Norway, 2005-2015. JAMA. 2019 May 13.

Teamwork hält Senioren fit

Wie kann man die Selbstständigkeit von Senioren erhalten, die noch in ihrer eigenen Wohnung leben, aber schon Probleme mit Alltagsaktivitäten haben, wie zum Beispiel kochen, das Bett oder die Wäsche zu machen? Diese Frage haben sich Forscher und Ärzte an der Johns-Hopkins-Universität im US-amerikanischen Baltimore gestellt. Das Besondere daran ist, dass das Team um Professor Sarah L. Szanton sich nicht mit gut gemeinten Ratschlägen begnügte, sondern die Wirkung der vorgeschlagenen Maßnahmen systematisch ausgetestet und bewiesen hat.

In einer sogenannten randomisierten klinischen Studie verteilten sie 300, meist weibliche, Senioren ab 65 Jahren nach dem Zufallsprinzip auf 2 Gruppen. Beide Gruppen bekamen innerhalb von 5 Monaten 10 Mal Besuch. Während jedoch in der einen Gruppe lediglich ein Forschungsassistent vorbei schaute, der mit den Senioren darüber sprach, welche Aktivitäten sie gerne lernen oder ausüben möchten, bekam die andere Gruppe Besuch von bis zu 3 Spezialisten, die sich untereinander über die beste Vorgehensweise abstimmten: Ein Ergotherapeut, eine Krankenschwester, und ein Handwerker.

Das Programm trägt den Namen “Community Aging in Place—Advancing Better Living for Elders”, was sich etwa mit “Altern daheim – für ein besseres Leben der Senioren“ übersetzen lässt und mit CAPABLE (englisch für „fähig“) abgekürzt wird. Zuerst prüft der Ergotherapeut dabei, unter welchen Einschränkungen die Betroffenen leiden, welche Ziele sie haben, und inwiefern die Wohnungseinrichtung dabei hinderlich ist. Die Krankenschwester fragt nach Beschwerden wie Schmerzen, Depressionen, den eingenommen Medikamenten sowie Kraft und Balance. Gemeinsam wird dann überlegt, wie man den Senioren helfen kann, die selbst gesteckten Ziele zu erreichen – einschließlich von Reparaturen im Haus und baulichen Veränderungen, die das Leben erleichtern sollen.

Gemessen wurde das Ergebnis auf einer Skala, die die Fähigkeit beschreibt, Aktivitäten des täglichen Lebens (engl. Activities of daily live, ADL) zu bewältigen. Die Schwere der so erfassten Behinderungen verringerte sich dabei in der intensiv betreuten Gruppe um 30 %. Jeweils etwa 80 Prozent der Senioren in dieser Gruppe sagten auf Nachfrage, ihr Leben sei jetzt leichter geworden, sie könnten sich jetzt besser um sich selbst kümmern, und sie hätten mehr Vertrauen darin, die täglichen Aufgaben zu meistern. In der Vergleichsgruppe hatten dagegen nur etwa halb so viele Senioren (etwa 40 %) entsprechende Verbesserungen bemerkt.

Gekostet hat das „Rundum-Paket“ etwas weniger als € 2500 pro Teilnehmer. Darin eingeschlossen waren die Reparaturen und Veränderungen der Wohnung, die man auf etwa € 1100 Euro begrenzt hatte. Finanziert wurde die Studie von den US-Nationalen Gesundheitsinstituten (National Institutes of Health, NIH).

Begeistert kommentieren die beiden Altersmediziner Marlon J.R. Aliberti und Kenneth E. Covinsky die der Fachzeitschrift JAMA Internal Medicine erschienene Studie: CAPABLE sei ein innovatives Programm, um die Behinderungen und Einschränkungen bei älteren Menschen mit niedrigem Einkommen zu verringern. Außerdem rechnen sie vor, dass CAPABLE zumindest in den USA auch helfen könnte, die Kosten für das Gesundheitswesen zu senken. Ein Platz in einem Pflegeheim wird dort nämlich mit umgerechnet etwa € 4400 Euro pro Monat veranschlagt. Man würde also fast das Doppelte der Programmkosten einsparen, wenn es damit gelänge, die Einweisung um durchschnittlich auch nur einen Monat zu verzögern.

Quellen:

  • Szanton SL et al.: Effect of a Biobehavioral Environmental Approach on Disability Among Low-Income Older Adults: A Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med. 2019 Jan 7. doi: 10.1001/jamainternmed.2018.6026.
  • Aliberti MJR, Covinsky KE. Home Modifications to Reduce Disability in Older Adults With Functional Disability. JAMA Intern Med. 2019 Jan 7. doi: 10.1001/jamainternmed.2018.6414.

Was ist ein gerechtes Gehalt?

In den acht Minuten, die Fußball-Star Cristiano Ronaldo braucht, um sich ein hartes Ei zu kochen, verdient er so viel wie eine Friseurin in einem ganzen Jahr. Das krasse Beispiel entstammt zwar der Bild-Zeitung, scheint aber realistisch, wenn man die € 70 Millionen Jahresgehalt (inklusive Werbung) des Kickers den rund € 15000 der Friseurin gegenüberstellt. Kein Wunder, dass bei solchen extremen Unterschieden die Emotionen hochkochen und das Thema „Lohn und Gerechtigkeit“ zum Dauerbrenner geworden ist.

Ganz schön reich: Mit einem Jahreseinkommen von geschätzten € 70 Millionen verdient Cristiano Ronaldo in Minuten so viel, wie andere in einem ganzen Jahr.
Ganz schön reich: Mit einem Jahreseinkommen von geschätzten € 70 Millionen verdient Cristiano Ronaldo in ein paar Minuten so viel, wie andere in einem ganzen Jahr (Foto: Ruben Ortega via Wikimedia Commons. CC BY-SA 4.0)

Und wie ist das bei Ihnen so? Verdienen Sie genug? Mehr als drei Viertel aller Deutschen antworteten darauf in einer Umfrage mit „Ja“. Die Art der Lohnverteilung in diesem Lande fanden dennoch mehr als die Hälfte ungerecht, entnehme ich der ZDF-Dokumentation Wie fair sind unsere Löhne?, die dieser Tage wieder einmal ausgestrahlt wurde.

Der Film von Angela Scheele und Stefanie Zeyn gehört sicher zu den besseren, die das Staatsfernsehen auf unsere Kosten hat produzieren lassen. Er berichtet, ohne selbst zu werten und lässt dafür zwei Experten zu Wort kommen. Wir hören Sina Trinkwalder, die als Gründerin eines Modelabels vorgestellt wird und sich als sozial engagierte Unternehmerin und Buchautorin einen Namen gemacht hat. Noch eine Spur reflektierter scheint mir Roland Tichy, der ehemalige Chefredakteur der Wirtschaftswoche, und erfolgreiche Betreiber des Polit-Bloggs „Tichys Einblick”.

Die Produzenten bringen viele wissenswerte Zahlen, von denen ich einige hier wiedergeben möchte: Aktuell arbeiten in Deutschland 43 Millionen Menschen. Davon sind 39 Millionen Angestellte und 4 Millionen Selbstständige. Da wir jedoch fast 81 Millionen in diesem Land haben, fehlen nach Adam Riese noch 38 Millionen. Was ist mit denen? Ist das die Summe aller Rentner, Kinder und Arbeitslosen? Weitere Fakten (die Zahlen sind jeweils Brutto):

  • Das mittlere Monatseinkommen eines Vollzeitbeschäftigten beträgt € 3000
  • Im Osten werden durchschnittlich € 2300 bezahlt, im Westen € 3100
  • 8 Millionen sind Geringverdiener mit weniger als € 9,30 / Stunde
  • 2 Millionen haben einen Zweitjob
  • Die Realgehälter haben lange 10 Jahre stagniert, steigen erst seit 2 Jahren wieder
  • Nur 10 Prozent aller sozialpflichtig Beschäftigten – also 3 Millionen Menschen- verdienen mehr als € 60000 im Jahr

Die Sendung ist wohltuend nüchtern gehalten und frei von Suggestivfragen oder fragwürdigen Kommentaren aus dem Off. Dennoch spüre auch ich den Impuls, erst einmal „ungerecht“ zu schreien, während der Film eine Handvoll Menschen mit sehr unterschiedlicher Arbeit und entsprechender Entlohnung vorstellt. Wir treffen zum Beispiel eine Floristin, die mit 3 Jahren Ausbildung auf 1600 Euro brutto kommt und einen Lufthansa-Piloten, der mehr als 16000 macht, dabei nur 2,5 Jahre Ausbildung hatte. Nicht unerwähnt bleibt auch die Tatsache, dass die Pilotengewerkschaft in den letzten Jahren immer wieder Streiks ausgerufen hat, um für ihre Mitglieder noch höhere Gehälter und die Rente mit 55 durchzusetzen.

Auch der „typische” Lehrer fehlt nicht, der nach 5 Jahren Studium mit 42 Jahren an seinem Gymnasium € 4600 pro Monat bekommt. Am oberen Ende der Gehaltsskala wird ein Oberarzt vorgestellt, der mit seinen 35 Jahren (davon 6 Jahre Studium und 5 Jahre Weiterbildung) auf € 8300 monatlich kommt. An der Spitze stehen die Manager der 30 größten Unternehmen in Deutschland. Im Durchschnitt verdient ein Vorstandschef 50 Mal so viel wie seine Angestellten. Und bei den drei Spitzenverdienern kamen zuletzt 6, 7 oder 8 Millionen Euro zusammen – ohne Boni.

Die Dokumentation geht auch den möglichen Ursachen der Ungleichverteilung nach und stellt fest, dass die Ausbildung eine wichtige Rolle spielt. Die Zahl der Abiturienten ist massiv gestiegen, von etwa 7 % in den 1960er Jahren auf mittlerweile etwa 50 %. Doch obwohl der Anteil der Arbeiterkinder unter den Abiturienten deutlich zugenommen hat, absolvieren sie viel seltener ein Studium als die Kinder von Akademikern. Das hat Folgen: Denn mit einer „normalen“ Ausbildung liegt das Einkommen eines Arbeitnehmers bei durchschnittlich € 35000 pro Jahr, mit akademischem Abschluss sind es dagegen € 58000.

Und noch ein Unterschied wird hervor gehoben: Frauen verdienen 22 % weniger als Männer, und dieses „Lohngefälle” sei in keinem anderen Land Europas größer. Als Ursache wird angegeben, dass die Frauen bei der Kindererziehung „zurückstecken”. 70 % der Mütter arbeiten Teilzeit, aber nur 7 % der Väter. Als Kinderloser ohne eigene Erfahrungen werde ich mich hüten, hier die Vor- und Nachteile von Beruf und Kindererziehung vergleichen zu wollen. Tatsache ist aber, dass das Lohngefälle von 22 % auf 7 % schrumpft, wenn man Männer und Frauen vergleicht, die bei gleicher Qualifikation die gleiche Arbeit machen. Und selbst diese Differenz könnten Frauen locker überwinden, provoziert Tichy: „Sie müssen einfach nur in typisch männliche, bessere bezahlte Berufe einstiegen und Mathematikerinen oder Anwälte werden.“

Stromkonzerne als Bösewichter

Strom, Energiewende, Atomkraft – Fast alle reden darüber, doch die Kenntnisse über die Zusammenhänge sind oftmals eher dünn. In der Dokumentation „Die Macht der Stromkonzerne“ von Florian Opitz, die zuletzt im Februar 2016 ausgestrahlt wurde, sah ich eine Chance, meine Wissenslücken zu stopfen. Mein Anspruch war hoch. Immerhin hat Opitz mit diesem Film zum zweiten Mal den Grimme-Preis gewonnen, der als eine der angesehensten Auszeichnungen für Fernsehfilme gilt (warum eigentlich?).

Beworben wird der Film damit, dass man die Strukturen beleuchten will, aufgrund derer „die Stromerzeuger jahrzehntelang ein profitables Geschäft betrieben haben“. Sie wurden dadurch „zu einer der mächtigsten Branchen Deutschlands …, die die Energiepolitik stets nach ihren Interessen beeinflusst hat.“

Heraus kam eine Dokumentation, die zwar durchaus lehrreich ist, bei der aber die Berichterstattung wie so oft beim Staatsfunk durch tendenziöse Darstellung überschattet wird. Dies beginnt mit der Wortwahl, setzt sich fort im Schnitt und wird untermalt mit musikalischer Stimmungsmache. Kapitalisten streben nach Monopolen, die Branche fungiert als Helfer der Waffenindustrie im 2. Weltkrieg und selbst die noch lange davor von Energiekonzern RWE eingefädelte Beteiligung der Städte an der E-Werken ist nichts weiter als ein durchsichtiger Bestechungsversuch.

Das kann man auch anders sehen: „Aufgrund der Bedeutung als Grundversorgung und wegen der besonderen Marktbedingungen (eingeschränkter Wettbewerb aufgrund der Netzgebundenheit) unterliegen Energieversorgungungsunternehmen einer besonderen öffentlichen Kontrolle und sie müssen besondere gesetzliche Auflagen erfüllen. Vielfach sind Energieversorgungs-unternehmen ganz oder teilweise im Besitz der Öffentlichen Hand und als Stadtwerke oder andere kommunale Werke organisiert.“ So steht es in der Wikipedia, und das ist ein recht gutes Argument für das gegenwärtige Arrangement.

Durchaus wertvoll sind die Interviews mit einem halben Dutzend Beteiligter sowohl auf Seiten der Stromversorger, als auch der Politik.  Dabei kann man natürlich den Abgang des ehemaligen Wirtschaftsministers Werner Müller aus der Politik in die Stromwirtschaft hervorheben. Dann sollte man indes auch bei Jürgen Trittin dessen kommunistische Vergangenheit nicht verschweigen, die seinen Kampf für staatliche Kontrolle sicher in einem weniger günstigen Licht erscheinen ließe. Ebenso wird den Zuschauern ein gewisser Dr. Peter Becker zunächst als „Energie-Experte“ vorgestellt. Immer wieder wird er zwischengeschnitten und gibt seine Wertung der Ereignisse ab. Später verrät er sich in einem Nebensatz als Anwalt für eine Anzahl ostdeutscher Gemeinden, die nach der Wende gegen die Übernahme „ihrer“ Energienetze durch westdeutsche Konzerne geklagt haben. Damit ist er für mich als unabhängiger Experte disqualifiziert. Im Gegensatz zu Beckers Pendant vom Atomforum wird Becker aber nicht gefragt, ob er denn ein Lobbyist sei.

Zwischen den Zeilen scheint die „Dokumentation“ nach mehr staatlicher Kontrolle zu rufen, nach Enteignung gar: Nun wird zwar die Übernahme der Energieversorger in der DDR durch westdeutsche Firmen als zwielichtiger Deal dargestellt. Wie gut und wettbewerbsfähig oder gar umweltfreundlich die DDR-Strukturen waren, wird aber nicht diskutiert. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass deren Braunkohlekombinate und die Stromversorgung in Staatshand ein Erfolgsmodell waren.

Und noch ein Verweis auf die Geschichte scheint mir fraglich: Da wird behauptet, die Deutschen hätten 1998 im europaweiten Vergleich die höchsten Strompreise bezahlt. Das erscheint mir unglaubhaft, ich konnte es aber nicht überprüfen. Was ich aber nachschlagen konnte ist eine aktuelle EU-Statistik. Dort zahlten 2015 die deutschen Stromkunden mit 29,5 Cent pro Kilowattstunde Strom nach den Dänen den höchsten Preis. Wenn aber der Umbau des Stromnetzes hin zu kleineren Anbietern solche eine tolle Idee ist, warum sehe ich dann keine Rendite in Form sinkender Strompreise? Die „Energiewende“ nahm spätestens im Jahr 2000 unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung volle Fahrt auf. Was ist bitte seitdem besser geworden?

Fazit: Licht und Schatten liegen in diesem Beitrag nahe beieinander. Es gibt wichtige historische Einblicke und Autor Florian Opitz hat aus den Archiven zahlkreiche eindrucksvolle Aufnahmen und Statements zutage gefördert. Dennoch kann ich Opitz den Vorwurf des Tendenzjournalismus nicht ersparen, denn die Stoßrichtung ist von Anfang an klar: Das Stromkartell betreibt ein profitables Geschäft, die Politiker lassen sich immer wieder einwickeln und am Ende ist der Verbraucher der Dumme. Wer mitdenkt und im Geiste einige kritische Fragen stellt, muss jedoch erkennen, dass die Sache so einfach nicht ist. Der Film hat zu wenig Tiefe und zu viel Tendenz und er bringt leider kein einziges Beispiel dafür, wie es besser laufen könnte. Für einen Sender mit Milliardenbudget ist das ein Armutszeugnis.

Naturkatastrophen bilanziert

Acht Millionen Tote und umgerechnet mehr als sechs Billionen Euro Schaden. Dies ist die Bilanz aller großen Naturkatastrophen im Zeitraum von 1900 – 2015. Zusammengerechnet hat diese Zahlen James Daniell vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), und dafür gebührt dem australischen Geophysiker ein großer Dank. Die von Daniell entwickelte Datenbank CATDAT soll Regierungen und Hilfsorganisationen beim Abschätzen des Ausmaßes einer Katastrophe und dem Katastrophenmanagement unterstützen, entnehme ich einer Pressemitteilung.

Für mich bietet das Zahlenwerk vor allem eine solide Grundlage, um langfristige Trends zur erkennen. Nützlich ist die Zusammenstellung aber auch für Vergleiche zwischen den Folgen von Naturkatastrophen einerseits und menschlichem Versagen andererseits.

35000 Ereignisse wurden erfasst und deren wirtschaftlicher Schaden geschätzt. Den größten Anteil mit etwa einem Drittel hatten dabei Flutkatastrophen, gefolgt von Erdbeben (ein Viertel aller Schäden) und Stürmen. Letztere verursachen in der Gesamtbilanz ein knappes Fünftel aller Schäden, Tendenz steigend.

Schäden durch Naturkatastrophen 1900 - 2015 (James Daniell, KIT)
Schäden durch Naturkatastrophen 1900 – 2015 (James Daniell, KIT)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Analyse zeigt allerdings auch, dass der Anteil der Schäden im Verhältnis zum Gesamtwert der Besitztümer kleiner geworden ist. Daniell bestätigt eine wichtige Erkenntnis: Wohlstand bringt Sicherheit. In seinen eignen Worten: „Grundsätzlich sind weniger entwickelte Länder durch Katastrophen verwundbarer, das heißt – bezogen auf Bevölkerungszahl und Vermögen – sind mehr Tote und ein höherer wirtschaftlicher Schaden zu befürchten als in besser entwickelten Ländern“, so der Geophysiker und Bauingenieur. Ein häufiger Grund sei, dass entsprechende Baurichtlinien nicht umgesetzt würden. Zudem bildeten, wie etwa in Bangladesh, die Küstenregionen die wirtschafltichen Zentren und sind entsprechend stark besiedelt. Hochwasserschutz wirkt und senkt die Schadensbilanz – so lautet eine weitere wichtige Erkenntnis.

Das „Preisschild“ von annähernd sechs Billionen Euro für alle Schäden im Untersuchungszeitraum ist natürlich nur eine Schätzung. Je nachdem, ob man die unteren oder oberen Werte nimmt, ergibt sich ein Spanne zwischen € 5,8 und € 12,5 Billionen. Die teuerste Naturkatastrophe war das Tohoku-Erdbeben am 11. März 2011 in Japan. Es hat einen Tsunami verursacht, der 18500 Menschen das Leben kostete und 450000 obdachlos machte. Außerdem war dieses Erdbeben der Auslöser für die Reaktorkatastrophe von Fukushima.

Entwicklungshilfe 2.0

Wussten Sie, dass seit dem Jahr 1960 ungefähr 500 Milliarden Dollar an Entwicklungshilfe nach Afrika geflossen sind? Die Journalistin Julieta Rudich hat diese Zahl zum Anlass genommen, in einer Reportage für die ARD nach dem Erfolg dieser Maßnahmen zu fragen, und sie hat dafür Kenia besucht.

Dort traf sie Auma Obama, die in Deutschland Germanistik und Soziologie studiert hat, und die jetzt in ihrem Herkunftsland mit ihrem Kinderhilfswerk „Sauti Kuu“ benachteiligte junge Menschen ausbildet. Wie alle Protagonisten der Reportage vertritt auch die Halbschwester des US-Präsidenten Barack Obama die These, dass die klassische Entwicklungshilfe reformbedürftig ist. Geschäfte zum gegenseitigen Nutzen seien langfristig besser geeignet, die armen Länder voran zu bringen und aus der Abhängigkeit von den Industrienationen zu entlassen.

Am radikalsten hat dies James Shikwati formuliert. Der Wirtschaftswissenschaftler fordert, die Entwicklungshilfe gänzlich abzuschaffen. „Beim Anblick einer helfenden Hand neigen Menschen dazu, immer mehr zu verlangen“, erklärt er . Den viel kritisierten Chinesen bescheinigt Shikwati, sie hätten „in den letzten vier Jahren hier mehr erreicht, als die Weltbank in den letzten 50 Jahren.“ Mit etwa 20 Milliarden Euro soll bei Lamu ein riesiger Freihafen entstehen, von dem aus zwei Schnellstrassen bis an die Grenzen zu Uganda und Äthiopien führen werden. Den Chinesen nutzt dies, weil es den Abtransport von Rohstoffen aus Kenia erleichtern wird. Für Shikwati ist dies kein Problem, denn die Infrastruktur seines Landes wird dafür maßgeblich verbessert – ein Geschäft auf Gegenseitigkeit eben.

Kenia 047 ICRAF
Kinder auf dem Feld, Kenia 1991 (Foto: Michael Simm)

In ihrer Reportage wirf Rudich auch einen Blick auf die Milleniumsdörfer, ein Experiment des US-Wirtschaftsprofessors Jeffrey Sachs, der damit binnen 20 Jahren die Armut besiegen will. Fünf Jahre lang erhalten diese Dörfer aus Geldern der Weltbank etwa 70 Dollar pro Kopf, weitere 40 Dollar müssen lokale Behörden und die Einwohner selbst aufbringen. Einerseits hat dies zu messbaren Erfolge beim Einkommen und der Lebenserwartung geführt. Andererseits zeigt Rudich aber auch, was passiert, wenn der Geldfluss stoppt: Es fehlt das Geld für Neuinvestitionen und der Vorwurf steht im Raum, dass die Hilfen abhängig machen würden. Warum die Bauern aus den höheren Erträgen keine Rücklagen gebildet haben, fragt die Reporterin aber nicht.

Dann noch der offenbar unvermeidliche Hinweis auf das Hybrid-Saatgut, auf Düngemittel und Pestizide, welche die Bauern bei Agarkonzernen wie Monsanto einkaufen „müssen“. Warum er statt des teuren Hybridsamens nicht das klassische Saatgut nimmt, wird ein Dorfbewohner gefragt. Antwort: Der Hybridsamen bringt etwa vier Mal soviel Ertrag. Dass dies überhaupt einmal erwähnt wird, geschieht bei derartigen Reportagen eher selten und ist den Machern hoch anzurechnen. Ebenso wie Auma Obama, die in ihren Musterdörfern offenbar mit einheimischen Gewächsen arbeitet, die sich hier aber erneut realistisch zeigt. Es sei wohl am besten, wenn man sowohl die anspruchsvollen Hochleistungssorten anbaut, als auch das herkömmliche regionale Saatgut verwendet.

Fazit: Eine gelungene Reportage, die statt Klischees zu bedienen lieber kluge Fragen stellt und die Menschen vor Ort zu Wort kommen lässt. In nur 30 Minuten gelingt es Julieta Rudich, ein komplexes Problem gut darzustellen und überlässt die Meinungsbildung erfreulicherweise dem Zuschauer.

Quelle: Welt Journal Reportage: Kenia – handeln statt entwickeln, 3Sat, 14.4.2016

Buch-TippDas Ende der Armut von Jeffrey D. Sachs

Eine Brutstätte für Ideen: OpenIDEO

Warum sind eigentlich so viele gute Ideen im Internet nur für englischsprachige Menschen zugänglich? Wieder einmal haben wir ein tolles Projekt entdeckt, das wir gerne auch in deutscher Sprache sehen würden: OpenIDEO ist eine Online-Plattform für kreative Denker, die gemeinsam Probleme und Herausforderungen lösen wollen.

Läßt Ideen wie Pilze sprießen: Die Online-Plattform OpenIDEO

Welche Herausforderungen? Aus der aktuellen Liste entnehme ich z.B. dass in vielen Teilen der Welt Menschen mit Blutkrebs sterben müssen, weil sie keinen geeigneten Organspender finden. Eine Lösung dafür könnte es sein, mehr Freiwillige zu gewinnen, die sich testen lassen und die bereit sind, ihre Daten in einem so genannten Knochenmarkregister zu hinterlegen. OpenIdeo hat nun für diese Herausforderung (engl. „Challenge“) eine eigene Seite angelegt, auf der Mitglieder 345 „Inspirationen“ hinterlassen haben, aus denen im Laufe einer moderierten Online-Diskussion 287 „Konzepte“ erwachsen sind, die man geprüft und gesiebt hat, bis schließlich Anhand der Zahl der „Applaudierenden“ zehn Gewinner ausgewählt wurden. So könnte man z.B. mit Zahnärzten kooperieren, die am Rande einer Behandlung von dieser Idee erzählen und bei Zustimmung der Patienten mit einem Wattestäbchen einen Abstrich im Mund machen, der zu einem zentralen Register eingeschickt wird. Oder man belohnt potentielle Spender dadurch dass sie weniger lange auf amtliche Dokumente warten müssen wie den Führerschein oder einen Reisepass. Zusätzlich ließen sich diese Dokumente dann mit einem Hinweis versehen, der so ganz nebenbei mit einem Symbol kenntlich macht, dass der Träger dieses Ausweises sich für eine gute Sache engagiert.

Natürlich darf am Ende der Prozedur auch die Umsetzung nicht fehlen: Im letzten Schritt einer „Challenge“ berichten daher die Mitglieder von OpenIDEO von ihren Aktivitäten und Erfolgen, sodass die Gemeinschaft auch eine Rückmeldung bekommt, was das Ganze denn nun gebracht hat. Konsequent setzt OpenIDEO auf all die Möglichkeiten, die das Internet zu bieten hat: So werden aus Kommentaren im Nu Diskussionen. Empfehlungen und Weiterleitungen, Facebook und Twitter helfen, die neuen Ideen in Windeseile zu verbreiten und auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen. Und am Ende steht sogar eine Redaktion, die die Fäden in der Hand hält und dafür sorgt, dass die Übersicht nicht verloren geht.

Herausforderungen gibt es genug. So sponsert die Provinzregierung von Queensland in Australien ein Projekt, mit dem die Produktion und der Verbrauch von Nahrungsmitteln näher zusammen rücken sollen. Diese Idee des „Think globally, act locally“ haben natürlich auch schon andere gehabt. Hier jedoch sprießen die Ideen zur Umsetzung der hehren Ideale wie Pilze aus dem Boden. Von Aufklebern wie „Ich bin von hier“ über die Vorstellung örtlicher Farmer in Kampagnen und organisierten Besuchen auf dem Bauernhof reichen die Vorschläge bis zur Entwicklung von Miniprogrammen (Apps) für iPhones und andere moderne Handys, sodass deren Benutzer per Knopfdruck wo sie frische Produkte auf den örtlichen Märkten kaufen können.

Die Ideen der Mitglieder werden dabei ähnlich behandelt wie die Inhalte der Wikipedia: Sie stehen allen zur Verfügung und werden nicht etwa patentiert und anderen Menschen vorenthalten. Für die Betreiber der Plattform könnte OpenIDEO trotzdem zum tragfähigen Geschäftsmodell werden, denn schon jetzt haben sie Sponsoren wie Sony, Nokia oder Unilever angezogen, die hier womöglich eine prima Chance sehen, ihre Entwicklungsabteilungen durch diese Art von Crowdsourcing zu ersetzen und Produkte oder Dienstleistungen an den Mann zu bringen.

Klickt man sich durch zu den Köpfen hinter dieser Plattform, so landet man bei der Firma IDEO – und bekommt ziemlich abgedroschene Phrasen zu lesen wie „Als globale Innovationsberatung öffnet IDEO Unternehmen neue Spielräume für Wachstum, zukünftige Geschäftsfelder und Vorteile im Wettbewerb.“ Sei´s drum. Auch mit guten Taten sollte man Geld verdienen dürfen und auch wir wollen uns der Einsicht nicht verweigern: „Entscheidend ist, was hinten ´raus kommt“.

Gärtnern für die Artenvielfalt

„Billigpflanzen gefährden regionale Pflanzenvielfalt.“ Diese Warnung haben Forscher des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Halle und der TU Berlin anlässlich der Bundesgartenschau 2011 in Koblenz ausgesprochen. Ab dem 15. April können Besucher auf dieser Veranstaltung die Schönheit der Blütenvielfalt erfahren. Gartenfreunde könnten dieses Ereignis aber auch zum Anlass nehmen, die eigenen Aktivitäten auf ihre Folgen hin zu überdenken, sagen Dr. Sonja Knapp und Professor Ingo Kowarik in einer Pressemitteilung. „Verwilderte Zierpflanzen breiten sich aus und bestimmen immer mehr das Bild der Städte und Gemeinden. Die Folge ist ein Einheitsbrei in der Pflanzenwelt – vielerorts wächst dasselbe, regionale Unterschiede gehen verloren. Einige sorgen sogar für Gesundheitsprobleme“, schreiben die Umweltforscher.

Ihr Lösungsvorschlag lautet: Hobbygärtner sollten mehr regionaltypische Pflanzen auswählen. Denn: „Regionale Identität schafft Zugehörigkeit in einer globalisierten Welt.“ Ausgerechnet im heimischen Garten werde regionale Identität jedoch oft vernachlässigt. Alte Zierpflanzen, darunter auch viele einheimische Arten, würden in Gärten immer seltener. „Fingerhut, Mohn, Rittersporn, Ackerringelblume, die früher Bauerngärten zierten, finden sich kaum noch. Stattdessen bieten Gartencenter im ganzen Land die gleichen Pflanzen an, die dann in Gärten von den Alpen bis zur Küste zu finden sind.“ Einigen dieser Zierpflanzen gelingt der Sprung über den Gartenzaun – sie verwildern. Dabei hätten die billigen Pflanzenarten besonders gute Verwilderungschancen, denn sie werden am häufigsten angebaut.

Mehr als 200 verwilderte Zierpflanzenarten seien in Deutschland bekannt, darunter auch problematische Arten wie Drüsiges Springkraut, Japanknöterich oder Herkulesstaude. Auf den ersten Blick erschienen die Neuankömmlinge als Bereicherung, doch zumindest auf ausbreitungsstarke Risikopflanzen sollten wir verzichten, raten Knapp und Kowarik. Sie schlagen vor, jene Gärtnereien, Gartencenter und Baumärkte zu bevorzugen, die statt Massenware auch die vor Ort wachsenden Zierpflanzen anbieten. Global denken und lokales Gärtnern also. Regionales Pflanzgut sei genetisch vielfältig und daher oft widerstandsfähiger als Importware. „Regionale Vermarktung und regionaltypisches Gärtnern kommen der Artenvielfalt zugute, fördern regionale Identität und machen Spaß bei der Gartenarbeit.“

Quelle:

Grünes Umfeld stärkt den Geist

Es ist zwar „nur“ eine Pressemitteilung, die zum Kauf einer Zeitschrift animieren soll, dennoch glauben wir dieser Botschaft:

Ein grünes Umfeld tut dreifach gut: Es stärkt die Gesundheit, fördert die Konzentration – und lässt Menschen sogar attraktiver erscheinen.

Im Sommer verbringt etwa jeder zweite von uns täglich mehr als eine halbe Stunde im Grünen – und zwar am häufigsten im eigenen Garten. Das ergab eine aktuelle Umfrage im Auftrag des Magazins Gehirn&Geist unter mehr als 1000 Deutschen. Und das ist gut so: Die sanften Reize der Natur stärken Leib und Seele!

Wer hätte das gedacht: Im Grünen geht es den Menschen besser

„Naturerleben verbessert in jeder Hinsicht unsere Gesundheit“, berichtet Jolanda Maas vom EMGO Institute for Health and Care in Amsterdam. Die Soziologin und ihre Kollegen analysierten Daten über die Gesundheit und das Wohnumfeld von rund 350.000 Niederländern. Ergebnis: Je grüner die Nachbarschaft, desto seltener litten Menschen an Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Depressionen und Angststörungen. Nur ein Prozent weniger Grün hatte dabei den gleichen Effekt wie das Altern um ein weiteres Lebensjahr!

Naturnähe fördert außerdem das Konzentrationsvermögen – egal ob wir im Park spazieren gehen oder die Fensterbank begrünen. So zeigten die Psychologin Ruth K. Raanaas und ihre Kollegen von der Universität für Umweltwissenschaften in Ås (Norwegen) kürzlich, dass Probanden bei einem Merktest besser abschnitten, wenn sich im Versuchsraum Pflanzen befanden. Sie konnten sich dann im Schnitt an sieben Prozent mehr Wörter erinnern als Probanden in einem nicht begrünten Zimmer.

Der Kontakt zur Natur helfe auch Kindern mit Aufmerksamkeits-Defizits-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS), glaubt die amerikanische Psychologin Frances E. Kuo von der University of Illinois. In einer Studie aus dem Jahr 2009 zeigte ihr Team, dass die Aufmerksamkeitsspanne von Sieben- bis Zwölfjährigen mit ADHS nach einem 20-minütigen Spaziergang durch einen Park etwa um dasselbe Maß stieg wie unter Behandlung mit dem ADHS-Medikament Ritalin. Durch ein Wohnviertel zu laufen, brachte den jungen Probanden hingegen keine Vorteile.

Wer nicht raus ins Grüne kann, sollte seiner Konzentration wenigstens mit ein paar Zimmerpflanzen im Büro auf die Sprünge helfen. Männern könnte das sogar zu einem Date mit der hübschen Kollegin verhelfen, wie Nicolas Guéguen von der Université de Bretagne-Sud in Vannes herausfand: Laut einem seiner Experimente finden Frauen einen Mann attraktiver und verabreden sich eher mit ihm, wenn sich Blumensträuße im Raum befinden. Offenbar fühle sie sich in Gegenwart blühender Pflanzen wohler fühlt – und übertrage dieses Gefühl auf ihn.

Quelle:

Gehirn&Geist, Mai 2011

Rezept gegen Vorurteile? Aufräumen!

Unordnung und Schmutz führen zur Abgrenzung von anderen Menschen

Eine schmutzige und unordentliche Umgebung kann zur Abgrenzung von anderen Menschen führen und Vorurteile fördern. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie, die zwei Wissenschaftler der holländischen Universitäten Tilburg und Groningen in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht haben. Eine Erklärung für ihre Beobachtung haben der Psychologe Diederik Stapel und der aus Deutschland stammende Soziologe Siegwart Lindenberg gleich mitgeliefert: Eine schmuddelige Umgebung könne die Sehnsucht nach Ordnung auslösen und Menschen dazu bewegen, im Geiste die Dinge zu vereinfachen und in verschiedene Kategorien einzuteilen, schreiben sie.

Die Gelegenheit zum Testen ihrer Hypothesen verschaffte den Wissenschaftlern ein Streik des Reinigungspersonals am Bahnhof Utrecht, wo täglich mehrere Tausende Reisende auf ihre Züge warten. 40 dieser Reisenden gewannen die Forscher für eine Umfrage, bei der die ausschließlich weißen Teilnehmer auf einer Skala von 1 bis 9 beantworten sollten, ob bestimmte Eigenschaften auf Muslime, Homosexuelle oder Niederländer im Allgemeinen zuträfen.

Als Sitzgelegenheit zum Ausfüllen des Fragebogens bot man den Studienteilnehmern eine Reihe von sechs Plätzen an, von denen der erste jedoch bereits von einem dunkelhäutigen oder weißen Landsmann besetzt war. Eine Woche später – der Streik war inzwischen beendet und der Bahnhof wieder gesäubert – wiederholte man das Experiment. Dann verglichen Stapel und Lindenberg, wie viel Abstand die Versuchsteilnehmern zu ihrem weißen und zu ihrem farbigen Landsmann eingehalten hatten.

War der Bahnhof sauber, so setzten die Versuchsteilnehmer sich durchschnittlich etwas mehr als zwei Plätze von ihrem Landsmann entfernt nieder, um den Fragebogen auszufüllen. Der Unterschied zwischen weißen oder schwarzen Sitznachbarn betrug hier nur wenige Zentimeter. Im schmutzigen Bahnhof blieb der Abstand zwischen weißen Holländern praktisch unverändert. War der Nebenmann jedoch ein Farbiger, so wuchs der Abstand um fast eine Sitzbreite auf durchschnittlich drei Reihen. Zugleich ergab die Auswertung der Fragebögen, dass die Studienteilnehmer in einer schmutzigen Umgebung die Muslime und Homosexuellen viel stärker mit negativen Stereotypen beschrieben, als auf einem sauberen Bahnhof.

Mit einem zweiten Experiment zeigten Stapel und Lindenberg dann, dass nicht nur eine schmutzige, sondern auch eine unordentliche Umgebung die Diskriminierung anderer fördern kann. Diesmal hatten die Forscher 47 Passanten auf einer Straße in einer wohlhabenden Nachbarschaft befragt und dazu eigens ein paar Pflastersteine aus dem Belag gelöst, ein Auto falsch geparkt und ein Fahrrad an den Straßenrand gelegt. Tags darauf wiederholten sie ihre Befragung mit weiteren Fußgängern – allerdings waren die Pflastersteine diesmal an ihrem Platz, das Fahrrad ordentlich abgestellt und das Auto anständig geparkt. Wiederum verrieten die Antworten der Versuchspersonen auf der verwahrlosten Straße einen Hang zur Diskriminierung. Und in einer vorgetäuschten Geldsammlung für „Minderheiten, Immigranten und Obdachlose“ spendeten die Anwohner an diesem Tag von fünf Euro durchschnittlich nur 1,70 Euro. Tags darauf zeigten sich auf der gleichen, nun wieder aufgeräumten Straße wesentlich großzügiger und warfen nun im Mittel 2,35 Euro in die Sammelbüchse.

Drei weitere Laborversuche bestätigten den Verdacht der Wissenschaftler: „Menschen reagieren sehr empfindlich auf Unordnung.“ Und weiter: „Eine Umgebung, die als unordentlich empfunden wird, lädt die Menschen dazu ein, gegenüber anderen in Klischees zu denken.“ Stereotypen seien demnach eine Art „Reinigungsmittel“ für den Verstand, mit dem es leichter falle, in unordentlichen Verhältnissen zurecht zu kommen.

Stapel und Lindenberg geben sich indes nicht damit zufrieden, die Ergebnisse ihrer Arbeit zu veröffentlichen, sondern sie haben daraus auch einen Ratschlag für Politiker abgeleitet: „Zeichen der Unordnung wie zerbrochene Scheiben, Graffiti und herumliegender Müll fördern nicht nur antisoziales Verhalten, sie führen automatisch auch zu Stereotypen und Diskriminierung.“ Deshalb müsse man verhindern, dass Wohngegenden verkommen und statt dessen in Reparaturen und Renovierungen investieren, fordern sie, denn das sei ein „relativ preiswerter und wirksamer“ Ausweg.

Letztlich fordern Stapel und Lindenberg damit auch die konsequente Umsetzung der so genannte „Broken-Windows-Theorie“ in die Praxis, die von den US-amerikanischen Politexperten James Q. Wilson und George L. Kelling vor nunmehr fast 30 Jahren durch einen Artikel in der Zeitschrift The Atlantic bekannt gemacht wurde. An dieser Vorstellung der zerbrochenen Fensterscheibe, die sofort repariert werden muss, um weitere Zerstörungen und ein abdriften ganzer Stadtviertel in die Kriminalität zu verhindern, orientierte sich Mitte der 1990er Jahre auch der damalige Bürgermeister von New York, Rudolph Giuliani. Das Ergebnis dieses Experimentes gilt noch heute als Bestätigung der Broken-Windows-Theorie: Binnen weniger Jahre reduzierte sich die Zahl der Raubüberfälle auf ein Drittel, die Zahl aller Straftaten ging um 75 Prozent zurück und New York zählt noch heute zu den sichersten Großstädten in den USA.

Quellen: